WOFÜR ENTSPANNT PRODUKTIVE-FÜHRUNG DIE WELT VERBESSERT
Christian: Hallo Michael.
Michael: Christian! Was hälst du von Holokratie?
Christian: Ich habe selber nicht in einem Unternehmen gearbeitet, was holokratisch ist, habe auch keins aufgebaut und ich habe schon in den 90ern das Buch von Ricardo Semler „Maverick“ gelesen, der da in Brasilien in seiner Firma holokratische Strukturen aufgebaut hat und ich fand das echt erstaunlich, wie er es geschafft hat Verantwortung in diese Kreise zu delegieren und zu übergeben und die haben dann tatsächlich ihre Gehälter aus den Kreisen heraus bestimmt und ihre Führungskräfte, wer wann Urlaub macht, vieles was ich heute auch bei holokratischen Modellen sehe. Das ist höchstwahrscheinlich eine Art und Weise ein Unternehmen zu führen, die schon älter ist und ein Ende des Spektrums, wie ich ein Unternehmen führen kann, weil das Gegenteil von Holokratie wäre ja eine Autokratie.
Michael: Genau. Das ist auch so mein Modell der Welt, irgendwie ist das eine Frage von Nordpol / Südpol. Holokratie kommt mir wie ein Pol vor, so ein Extremum, das Ende der Skala, wo das andere Ende der Skala eine totale Autokratie ist, von oben herunter. Eine Autokratie ist ja total hierarchisch angeordnet, da sind Rollen fest vorgegeben, da wird bestimmt, wer darf was machen, wer darf welche Entscheidungen treffen, es gibt irre viele Regeln in so einem Apparat und in einer Holokratie ist mein Verständnis „da sind viele Menschen, die da zusammenarbeiten, die organisieren sich alle selber und es gibt kein Top-Down, es gibt keine Hierarchie, sondern es gibt Rollen und ein sich miteinander abstimmen, wer jetzt was macht um ein Ergebnis zu erreichen“. Ich habe auch noch nicht in einer Holokratie gearbeitet oder eine mit aufgebaut, ich finde das Konzept sehr faszinierend und für mich war mit diesem Thema irgendwie die Frage, die ich mitgenommen habe „wo will ich da sein auf der Skala von bis“. Wenn das eine Skala von 1-10 ist und die 1 ist die Autokratie und die 10 ist die Holokratie, wo würde ich mit meinem Unternehmen stehen, was sind wir denn? Ich hatte immer das Gefühl, dass die Hierarchieform von früher, das verbinde ich mit oldschool und eher mit Militär und Diktatur, dass das gar nichts für mich freiheitsliebenden Geist ist.
Christian: Ich glaube ja es ist ein Komplexitätsthema. In einer Holokratie habe ich ja relativ wenig Regeln, die Komplexität schaffen. Die Delegation von Aufgaben, wer entscheidet, diese Aufteilungen werden da sehr streng gehandhabt, während in einer Autokratie ja höchstwahrscheinlich viel mehr top down geregelt wird. Wir hatten vorhin das Beispiel mit den Checklisten. Wenn ich ein Unternehmen habe, wo Checklisten Sinn machen und in jedem Unternehmen machen Checklisten Sinn, auch in einer Holokratie, dann ist höchstwahrscheinlich die Art und Weise, wie ich zu den Checklisten komme, ein vollkommen anderer Ansatz.
Michael: Ja genau und viel mehr Freiheit auch die Checkliste überhaupt überarbeiten zu dürfen, überhaupt anzufragen, ob die so richtig ist, eine Autokratie hat ja immer so etwas von „das ist so und das war schon immer so und so machen wir das hier“. Dann weiß keiner mehr, warum die Regeln, die in diesem 100-seitigen Regelwerk drinstehen, eigentlich die Regeln sind. Es gab ja mal einen Grund, warum die vor 20 Jahren eingeführt wurden, aber ob dieser Grund heute noch zutrifft, das hinterfragt keiner. Da ist eine Holokratie viel agiler finde ich.
Christian: Ja. Bleiben wir doch mal bei Checklisten. Die Luftfahrt arbeitet ja viel mit Checklisten.
Michael: Pilot und Copiloten bevor die abheben, die gehen ja seitenweise Zeug durch und checken, ob alles okay ist. Finde ich gut.
Christian: Auch im Notfall, als die auf dem Hudson River notgelandet sind, hat der eine die ganze Zeit die Checklisten durchgearbeitet um das Triebwerk wieder anzukriegen. Garantiert passiert deswegen so wenig in der Luftfahrt. Wie würde ich mit einem holokratischen Modell arbeiten? Das heißt ja jetzt nicht, dass die Copiloten und Piloten einfach das machen, was sie wollen, sondern es heißt ja „es gibt einen bestimmten Weg wie ich zu einer Checkliste komme“.
Michael: Gute Frage. Ich stelle mir das so vor, wenn jetzt so ein Flugunternehmen eine Holokratie wäre, jetzt stehen Pilot und Copilot auf dem runway und sitzen im Cockpit und jetzt ist die Frage „wie läuft das ab, wenn die holokratisch sind?“. Ich stelle mir das so vor, dass die dann immer noch eine gemeinsame Grundlage haben, auf die sie sich mal verständigt haben, so ein Grundregelwerk, dass so eine Checkliste auch hinterfragt und angepasst werden darf und dass die beide immer noch dieselben Dinge wertschätzen und zwar insbesondere, dass sie heil auf der anderen Seite ankommen und nicht unterwegs versterben, weil die Kiste abschmiert. Überleben und Sicherheit der Fluggäste ist wahrscheinlich ein gemeinsamer Wert für alle Mitarbeiter in einem Flugunternehmen. Wenn ich da jetzt als Pilot sitzen würde und sage „die Checkliste ist scheiße, die möchte ich ändern“, dann hätten wir wahrscheinlich so zwei Grundlagen, nämlich einmal so eine Art constitution, wann ist die richtige Zeit und der richtige Mechanismus dafür und auf der anderen Seite auch immer dasselbe Werteverständnis von „naja, die jetzt zu ändern ist vielleicht nicht so clever, weil vielleicht kommen wir dann drüben nicht an“.
Christian: Da wäre ich auch dabei, nicht während dem Flug die Checkliste zu ändern. Das kann zu Systemabstürzen führen. Das heißt da gibt es dann garantiert eine Regel, wer ist dafür zuständig, wer besitzt das Recht die Checklisten zu ändern, wer würde das mit den Menschen besprechen, die auch davon eine Ahnung haben und dann würde die Gruppe zusammen die Entscheidung treffen „wir ändern jetzt die Checkliste“ und ab dann ist sie auch verbindlich. Das heißt das ist dann nicht flexibel „ich mache das mal oder eben nicht“, die Regel gilt dann auch.
Michael: Wenn wir das jetzt mal übertragen das schöne Beispiel von der Checkliste im Flieger auf uns als Menschheit. Wo siehst du uns denn insgesamt? Wie war die Menschheit bisher organisiert und die Arbeitswelt insbesondere und was ändert sich da gerade oder wo geht es in Zukunft hin?
Christian: Große Frage. Ich denke es kommt wieder drauf an. Wir haben viele autokratische Systeme, bei manchen finde ich das auch durchaus sinnvoll, dass die autokratisch strukturiert sind.
Michael: Zum Beispiel?
Christian: Zum Beispiel ein Militär. Auf der oberen Ebene hätte ich das schon gerne autokratisch. Verteidigung unseres Landes. Auf einer untergeordneteren organisatorischen Ebene kann ich mir durchaus vorstellen, selbstverantwortliche Teams zu haben, die arbeiten. Das wären dann praktisch Guerilla-Taktiken.
Michael: Wenn wir jetzt so eine Armee haben mit 100.000 Leuten, dann ist das schon ganz gut, wenn das autokratisch abläuft, weil das funktioniert und weil es da Interessen gibt, die halt ultimativ geschützt oder sichergestellt werden müssen und gleichzeitig kann ich auch so SWAT-Teams darin modellieren, die dann auf autokratische Art und Weise funktionieren, wieder wahrscheinlich mit so einer Art constitution oder grundfesten Werten, die dann aber autark agieren können und damit halt Situationen bewältigen, für die sonst so eine autokratische große Organisation zu langsam und zu ineffizient ist.
Christian: Die Regel, die da wieder gilt, ist Verantwortung für Entscheidungen auf die niedrigst mögliche Organisationsebene zu delegieren.
Michael: Da muss ich jetzt irgendwie dran denken „es kommt drauf an“. Es kommt darauf an, welchem Zweck das Ganze dient, oder? Ob ich jetzt eher autokratisch oder holokratisch organisiert bin, hängt ja vielleicht auch davon ab, was ich erreichen will und was mir wichtig ist.
Christian: Und wie wir zusammenarbeiten wollen.
Michael: Ja genau. Ja auch eine wichtige Entscheidung. Wenn ich jetzt eine Firma gründe, bringe ich halt mit rein wie ich arbeiten will und habe da meine persönliche Präferenz und meine persönliche Wertevorstellung, wie Arbeit heutzutage für mich in meiner Firma abzulaufen hat und dadurch bringe ich da schon irgendwo eine Präferenz auf der Skala von Autokratie bis Holokratie ein. Und kann mir auch bewusst werden, dass manchmal auf der einen oder der anderen Seite vielleicht auch taktische Vorteile zu finden sind.
Christian: Wir hatten ja die Kaffeebars bei „chicco di caffe“ und sind da doch recht autokratisch strukturiert. Was da der Punkt ist, ist einfach: Jede Bar ist ja im Wesentlichen sehr stark vergleichbar. Es ist kein Franchise-System, nur die Struktur an jeder Kaffeebar, die Abläufe, die Qualitätsstandards und so weiter sind alle vorgegeben worden von oben. In dem Rahmen haben wir da schon möglichst viel Verantwortung auf die Bar übertragen. Nur eine Bar konnte jetzt nicht übergreifende Regeln selber ändern.
Michael: Da kommt mir gerade eine interessante Frage in den Kopf als Wortkonstrukt „die holokratische Systemgastronomie“. Das beißt sich ja schon im Wort oder?
Christian: Ja höchstwahrscheinlich. „System“ ist ja tatsächlich so, dass ich Standards haben möchte. In den Burgerladen meines Vertrauens gehe ich ja, weil der Burger überall gleich schmeckt, weil es sauber ist, die Toiletten sind sauber, der Gastraum ist sauber, es kostet überall gleich viel Geld und nicht das Team entscheidet jetzt noch „heute machen wir keine Pommes, weil die ungesund sind“.
Michael: Jetzt frage ich mich gerade „was wird passieren, wenn so eine Firma wie McDonald’s sich entscheiden würde, mehr in Richtung Holokratie zu gehen?“.
Christian: Wie ist das mit der katholischen Kirche? Ist ja auch sehr autokratisch hierarchisch strukturiert und sehr flach. Wir haben glaube ich vier Hierarchieebenen. Da ist das Regelwerk auch sehr stark von oben vorgegeben.
Michael: Die muslimische Welt ist da interessanterweise gar nicht so. Die sind eher holokratisch organisiert. Da gibt es nicht so eine zentrale Instanz, teilweise schon, auch politisch verankert in manchen Staaten, aber vom Grundaufbau ist das nicht so, dass es da so eine Figur gibt wie den Papst in Rom. Interessant. Funktioniert ja beides irgendwie oder beides nicht.
Christian: Was wäre denn jetzt zwischen den beiden Polen die Organisationsform, in der du am liebsten arbeiten würdest?
Michael: Was ich aus Erfahrung mitgenommen habe zu dem Thema, ich würde das mal eine Kooperation nennen. Die reine Holokratie, vielleicht traue ich mich da noch nicht ran, habe da auch ein paar Sorgen, genauso wie bei der reinen Autokratie, welchem Zweck folgt das jetzt? Ich kann eine Organisation haben, die auf Werten stark basiert ist. Was wir machen mit purpose, vision, values, strategies ist ja so eine Art und Weise, eine Firma zu führen, wo die Werte auch sehr tief verankert sind und für mich schaffen so die Werte die Leitplanke für so eine Holokratie, um das ein bisschen im Zaum zu haben, um das zu lenken und auf Kurs zu halten, dass da jetzt nicht alles passieren darf und dass es immer noch so einen Grundkanon gibt. Mit einer constitution für eine Firma habe ich noch keine Erfahrung selber gemacht, da kann ich nicht zu sprechen. Ich kann mir vorstellen, dass das so der zweite Schritt ist, wenn man noch freier arbeiten möchte und sich noch mehr Richtung Holokratie bewegt. Für mich funktionieren die Werte da schon erstaunlich gut und das ist auch, was ich in Krisensituationen erlebt habe, wenn ich die Zügel ganz locker lassen will, dann kann ich meinem Team sagen „macht jetzt was ihr meint, was zu machen ist, wir haben keine Zeit mehr darüber zu beraten, wir müssen jetzt entscheiden und voran und richtet euch einfach danach, dass wir im Wertegerüst drinbleiben. Unsere Werte gelten immer und unser purpose, wofür wir das machen und darüber hinaus dürft ihr frei entscheiden, weil es ist nicht die Zeit zum Debattieren und Diskutieren“. Ich würde das noch nicht Holokratie nennen, aber das ist ein kooperatives Modell.
Christian: Das heißt es kommt wieder drauf an und zwischen Nord- und Südpol gibt es viele schöne Orte, wo ich mich gut einrichten kann und die jeweils auch meinen Lebensstil, meinem Unternehmensstil, meinen Werten und meinem purpose auch entsprechen.
Michael: Ich hätte gerne einen mit Sonne.
Christian: Ja. Dann ist es mir auch egal, ob es Holokratie oder Autokratie ist.
Michael: Wie war das nochmal? Der Zweck vom Management: Ziele erreichen und Mitarbeiter halten.
Christian: Ziel erreicht. Vielen Dank Michael.
Michael: Tschüss.