WOFÜR ENTSPANNT PRODUKTIVE-FÜHRUNG DIE WELT VERBESSERT
Michael: Hey Christian. Erzähl mir doch bitte nochmal die Geschichte von dem Guru und dem Sazang?
Christian: Ja sehr gerne. Hallo Michael. Ich war auf einem Sazang und ein Sazang ist, ich weiß nicht ob es buddhistisch oder hinduistisch war, auf jeden Fall sitzt vorne der Guru oder der Mönch, die Schüler sitzen auf dem Boden davor und jeder der Schüler kann dann nach vorne gehen, dem Guru eine Frage stellen über jedes Thema, vollkommen freie Themenwahl, Gott und die Welt, Leben, Tod, der Guru antwortet dann, dann bedankt sich der Schüler, setzt sich wieder hin und alle denken über die Antwort nach. Dann kann der nächste aufstehen, nach vorne gehen, eine Frage stellen die sich vielleicht darauf bezieht oder auf was vollkommen anderes, der Guru antwortet wieder und das ist so ein bisschen orakelmäßig, hat schon mit der Frage zu tun und geht halt immer so ins Spirituelle.
Michael: Das heißt jeder hört das Thema von jedem anderen mit und hört dann auch die Antwort des Gurus. Dürfen die anderen Teilnehmer dann auch irgendwie was dazu sagen und beitragen oder sind die im reinen Zuhörmodus?
Christian: Die sind dann im reinen Zuhörmodus oder können dann nach vorne gehen und eine neue Frage stellen.
Michael: Quasi so eine Art „Gruppen-Mentoring“.
Christian: Ja genau. Das Spannende daran ist ja, dass die Fragen, die gestellt werden, eigentlich immer jeden betreffen. Die großen Fragen „Leben, Tod“ oder auch in Unternehmen „wo wollen wir hin“ betreffen eigentlich jeden und sind die großen Fragen.
Michael: Was kamen da so für Fragen?
Christian: Alles Mögliche. Über „ich bin krank“, vollkommen unterschiedlich. Was allerdings extrem spannend war: Bevor es losging, hat sich der Guru vorne hingesetzt, alle anderen saßen da und haben meditiert, waren in sich versunken und dann hat der eine Geschichte erzählt. Die Geschichte ging folgendermaßen: Er hat erzählt er war in einem anderen Sazang, in München, vorne stellt er die Bilder seiner Lehrer hin, Buddha, Jesus, Lao Ze, Mohammed und sagt „das ist meine Familie“. Dann sagt einer der Schüler „warum stellst du die Bilder von deiner Familie hier vorne hin, das würde ich zu Hause machen, jetzt nicht in so einem Raum hier“. Dann sagt der Guru „ich bin hier zu Hause. Hier und jetzt.“. Darüber wurde ich gerne mit dir sprechen heute. Dieses „im hier und jetzt“ sein, was das bedeutet, wie ich das selber für mich nutzen kann und wie ich das tatsächlich nutzen kann in meinem Unternehmen.
Michael: Dieses ganze Thema „to be present in the moment“. Im Moment leben und wirklich ganzheitlich anwesend sein.
Christian: Eine andere Geschichte, die ich dazu habe, ist so die Gegenentwurf-Geschichte. Wir hatten mit „chicco di café“ ein schönes Büro in Grünwald, immer wenn wir da Geschäftsführersitzung hatten, hatten wir das Fenster auf, damit frische Luft hereinkommt und in Grünwald ist es ja so, dass gerne mal ein Sportwagen vorbeifährt. Jedes Mal, wenn mit lautem Geknatter ein Auto vorbeigerauscht ist, war die Konzentration ist. „Was war das für ein Auto, kenne ich den“ – und das war immer wieder „zack“, wir haben über irgendein wichtiges Thema gesprochen, ein wichtiges Unternehmensthema und plötzlich heult draußen ein Porsche auf und alle gucken raus und sagen „was ist denn das jetzt“. Bis wir uns wieder gefangen hatten, paar Minuten später, kam wahrscheinlich bei schönem Wetter das nächste Auto vorbei.
Michael: Da ist die Energie woanders hingeflossen, zum vorbeifahrenden Porsche mit kaputtem Auspuff.
Christian: Weiß auch nicht warum die immer kaputt sind. Arme Leute bestimmt… Wie kriege ich das denn hin, dass ich tatsächlich da auch meinen Fokus oder die „awareness“ dahinlenke, wo ich sie haben möchte, weil da geht ja meine Energie hin. Wenn ich auf dieses Unternehmensthema, es waren halt oft Mitarbeiterthemen, Zielthemen, Kundenthemen und ich möchte ja dass die Energie der Gruppe dahingelenkt wird und dass wir uns mit dem Thema beschäftigen und das auch innerhalb schneller Frist das gelöst kriegen. Ich will eigentlich nicht, dass wir uns Gedanken machen um die Auspuffe von irgendwelchen Autos.
Michael: Ja klar. Da denke ich direkt an das Handy auf dem Tisch, wo zwischendurch die blinkenden Nachrichten ankommen und jeder mal draufguckt, den aufgeklappten Laptop im Meeting, damit ich auch bloß sehe, wenn irgendeine E-Mail reinkommt durch die ich mich dann ablenken lassen kann und und und. Unsere Welt ist ja mittlerweile voll von potentiellen Ablenkungen, die meinen Fokus, mein Bewusstsein, meine „awareness“ in jedem Augenblick irgendwo anders hinziehen kann.
Christian: Wer entscheidet denn, wohin ich meinen Fokus lenke?
Michael: Manchmal bin ich geneigt zu sagen „WhatsApp entscheidet“. Natürlich ich. Ich entscheide alles in meinem Leben.
Christian: Du hast dann entschieden, dass du WhatsApp diese Entscheidung treffen lässt?
Michael: Ich treffe jetzt mittlerweile die Entscheidung ganz bewusst, wann ich das Telefon ausmache oder auf dem Tisch liegenlasse oder sogar in eine Tasche tue und wegtue. Am besten ganz aus der Sicht. Du erzählst ja auch immer diese schöne Geschichte von der Studie über Schulklassen, die Handys mitbringen dürfen. Wie war die nochmal?
Christian: Das war die Studie zum „iPhone-Effekt“. Der Punkt war der, zwei Menschen haben sich unterhalten und sobald ein iPhone, ein Smartphone daneben liegt, sichtbar oder auch unsichtbar und der andere weiß „dieses Gerät ist an und steckt in der Hosentasche oder liegt auf der Bank“ werden die Gespräche als weniger tief empfunden. Warum? Weil egal was dieses Smartphone gleich macht, es piept, es klingelt oder dem anderen ist auch nur langweilig und der guckt rauf und gibt dadurch das große Zeichen „das ist mir jetzt wichtiger“.
Michael: Das Telefon auf dem Tisch wird zum Anker für all die vielen Sachen, die mich ablenken können.
Christian: Das Krasse daran ist ja, egal warum dieses Handy gleich piept, ist das wichtiger. Was ist das für ein Zeichen? Ich spreche mit dir, habe ein Gerät daneben und sage „egal was dieses Gerät gleich macht, es ist mir wichtiger als das Gespräch mit dir, es ist mir wichtiger als die Beziehung zu dir“. Das ist heftig.
Michael: Ich habe da jemand sehr nahe stehenden in meinem Leben, meinen Vater, der hat die Eigenschaft, wenn bei ihm das Telefon zu Hause klingelt, dann lässt der alles stehen und liegen, der hört im wichtigsten Gespräch mit mir, es kann sich um Leben und Tod gehen, hört der auf mit mir darüber zu reden und läuft zum Telefon und geht erstmal ran.
Christian: Das war ja früher höchstwahrscheinlich auch wichtiger. Als das Telefon in den 70er Jahren geklingelt hat, war es erstens was wichtigeres, weil es so teuer war ein Ferngespräch zu führen und es war halt einfach nicht verbreitet.
Michael: Da kommt das wirklich her. Heute ist die Welt ganz anders. Wenn mein Handy klingelt, gehe ich eigentlich kaum noch an ein Gespräch ran, wenn es wirklich kommt, sondern rufe fast immer zurück oder wickle sowieso 95 % meiner Kommunikation asynchron ab.
Christian: Da bin ich ja anders. Ich bin ein großer Fan von synchroner Kommunikation. Für manche Themen. Es gibt Themen, die man gut asynchron abwickeln kann, Terminvereinbarung, kurze Abstimmungen, nur immer wenn es darum geht, Beziehungsarbeit zu leisten, das meine ich in ganz großem Umfang, Beziehungsarbeit mit Mitarbeitern, mit Lieferanten, mit Kunden, mit Kollegen, finde ich sehr wichtig, dem eine Chance zu geben, eine synchrone Kommunikation draus zu machen.
Michael: Ich lade dich dazu ein, das auch mal auszuprobieren wie das ist, asynchron eine Beziehung aufzubauen. Wir können ja unseren Podcast demnächst per Voice-Message aufnehmen.
Christian: Ja wir sind ja da auch ziemlich asynchron unterwegs für meine Verhältnisse.
Michael: Die Welt ändert sich.
Christian: Die Schwierigkeit ist da, dass es so viele Kommunikationswege gibt und nicht jeder immer der Passende ist.
Michael: Wie war denn nochmal die andere Studie, die mit den Rucksäcken? Mit den Schulkindern? Die ist relativ neu von letztem Jahr und zwar wurden da Schulklassen untersucht. Smartphones haben natürlich längst Einzug in die Schule erhalten, die Illusion, den Schülern zu verbieten überhaupt eins mitbringen zu dürfen, machen sich glaube ich wenige Schulen und die Frage ist einfach nur „wo kommt das hin“. Dann wurden Schulklassen verglichen, wo in der einen Gruppe von Schulklassen die Kinder das Telefon mit ins Klassenzimmer bringen durften, aber es musste im Rucksack unterm Tisch bleiben. In der Vergleichsklasse durften die Kinder erst gar nicht das Telefon mit ins Klassenzimmer bringen, es musste entweder ganz draußen bleiben, zu Hause oder im Spind oder sonst wo. Siehe da. Die Lerneffizienz in den Klassen, wo die Kinder das Telefon nicht mit ins Klassenzimmer bringen durften, war signifikant höher um 20-25 % als die Lerneffizienz in den Klassen, die es mitbringen durften. Die Erklärung ist genauso wie das Handy im Meeting auf dem Tisch. Ob es dann blinkt oder nur da liegt ist ganz egal. Das wird zum Anker für alle anderen Sachen, die passieren und die mich ablenken können. Die Kinder in den Schulklassen mit dem Rucksack unterm Tisch, die guckten dann auf den Rucksack und wussten „in dem Rucksack ist mein Telefon drin, da könnte eine neue Nachricht sein“, während die Kinder, die den Rucksack unterm Tisch hatten und wussten „da ist das Handy nicht drin“, hatten den Gedanken erst gar nicht mehr und dadurch war die Ablenkungsquote da wesentlich geringer. Ist krass ne?
Christian: Handys auch aus dem Meeting rauslassen.
Michael: Ich mache das jetzt so demonstrativ bei Workshops. Ich erzähle diese Geschichte, nehme das Telefon, tue es in meinen Rucksack und trage den Rucksack heraus. Es muss auf jeden Fall aus dem Sichtfeld sein, sodass ich das nicht sehen kann, wo ich es hintue.
Christian: Mit dem Handy habe ich ja auch noch eine andere Erfahrung gemacht: Wenn jemand das im Meeting dabei hat und wir zum Beispiel Updates machen oder Themen besprechen, dann gibt es auch gerne mal Menschen, die sich einfach gar nicht vorbereiten vorher, sondern in dem Moment, wo sie dran sind, in ihrem Handy rumspielen und gucken „was sind denn die Themen, die ich gerne besprechen würde“. Das geht dann auch wieder in die Richtung „was sind denn die dringenden Themen und nicht was sind die wichtigen Themen“. Also auch die Vorbereitung vor Meetings, was möchte ich denn erreichen, was möchte ich über ein Gespräch erreichen mit einem Kundengespräch und das dann auch durchziehen.
Michael: Mit denen im Kopf direkt reingehen. Da sind wir wieder beim Thema Fokus und vorher darauf fokussieren, es umzusetzen. Kann ich auch am Anfang des Meetings dann noch machen. Der Zweck des Meetings ist heute „…“, was wollen wir denn heute hier erreichen und mit der Agenda arbeiten wir uns jetzt dadurch.
Christian: Genau und die Handys kommen weg.
Michael: Dann kommt dann das Argument „ich brauche das Handy aber um Material heraus zu kramen oder um Notizen zu machen“. Ist dann okay oder?
Christian: Joa.
Michael: Finde ich auch. Letztendlich ist es genau wie bei allem: Wer trifft die Entscheidung dafür, fokussiert zu sein?
Christian: Die kann nur ich treffen für mich.
Michael: Jeder für sich. Wenn ich jetzt mein Telefon in den Rucksack stecke und das wegstecke ist das eine Art und Weise, wie ich diese Entscheidung manifestiere und ich kann das auch entscheiden, indem ich es in meinem Kopf entscheide und dann beim Meeting wirklich die ganze Zeit bei der Sache bleibe und selbst wenn ich merke „mein Geist schweift jetzt ab ohne einen externen Trigger“, der kann ja auch von innen kommen, „mir fällt jetzt gerade ein, dass ich nachher noch Orangensaft einkaufen will“, jetzt kann ich anfangen, mir dessen gewahr zu werden, bewusst zu werden „da ist gerade ein anderer Gedanke in mir hochgekommen“ und kann mich dann wieder aktiv entscheiden diesem Gedanken „tschüss“ zu sagen und mich wieder darauf zu fokussieren, was gerade im Augenblick wirklich im Fokus sein sollte. Aktives Gewahrsam? Da gibt es so ein schönes Wort für. Komme ich noch drauf.
Christian: Ich habe noch eine andere schöne Definition von „Fokus“ gehört, das ist „Fokus ist meine Fähigkeit, die Dinge zu machen, von denen ich gesagt habe, dass ich sie mache solange ich sie machen will“.
Michael: Finde ich gut. Ein bisschen lang, aber gut.
Christian: Der wichtige Punkt ist: Ich mache das, was ich gesagt habe, was ich mache und nicht wo ich jetzt plötzlich aus irgendeinem Impuls wieder „ich mache es doch anders“ und auch solange wie ich gesagt habe, dass ich es mache. Zum Beispiel bis es fertig ist, bis die Entscheidung getroffen ist.
Michael: Ja. Ich entscheide wieder wo ich Energie hinsende „where focus goes, energy flows“ oder „where awareness goes, energy flows“ sind ja die schönen Sprüche. Alles, was ich permanent treffe, ist eine Entscheidung dafür, wo ich meine Energien drauf einsetze und das worauf ich meine Energie einsetze, ist ja dann das, was auch passiert und wahr wird in der Welt für mich. Dann möchte ich ja gerne, dass das wahr wird, was ich in der Welt haben will und wer ich sein will.
Christian: Vielen Dank. Dann haben wir uns jetzt wieder auf eine schöne Podcast-Episode konzentriert, wir haben sie solange gemacht, wie wir sie machen wollten und sind hier und jetzt damit fertig. Vielen Dank.
Michael: Ciao.