CHIEF OF ANYTHING

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WOFÜR ENTSPANNT PRODUKTIVE-FÜHRUNG DIE WELT VERBESSERT

Transkript

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Christian: Hallo Lutz.

Lutz: Hey Christian, hey Michael.

Michael: Hallo Lutz. Freut mich sehr. Hallo Christiano.

Christian: Hallo Michael. Ja ich freue mich auch sehr, dass wir heute Lutz Graumann bei uns haben im Podcast, von dem ich schon viel gelernt habe über „mich selber führen“. Deswegen vielleicht ganz kurz Lutz, wer bist du und was machst du?

Lutz: Ich bin Mediziner von Haus aus und bin eigentlich der Arzt für die gesunde Bevölkerung. Mein Job ist es Menschen wie dir und dem Michael dabei zu helfen, ihr Potenzial wirklich auszuschöpfen und zu gucken „wo ist das Limit für mich? Wie weit kann ich raus aus meiner Komfortzone, ohne irgendwie dauerhaft Schaden zu nehmen und glücklich mit mir selbst zu sein?“.

Christian: Das hast du ja gelernt, vielleicht kurz aus deiner Geschichte, du hast ja relativ krasse Menschen betreut bei genau dieser Fragestellung.

Lutz: Ich hatte das große Glück relativ früh in meiner Karriere mit einem besonderen Klientel arbeiten zu dürfen. Angefangen bei meiner Doktorarbeit, da habe ich der Firma Adidas dabei geholfen, die Olympischen Spiele 2000 in Sydney vorzubereiten. Danach hatte ich über das Stipendium bei der Bundeswehr die Möglichkeit mich in die Sportmedizin der Bundeswehr einzubringen und von 2005 bis 2015 durfte ich sogar die gesamte fachliche Leitung übernehmen und der Höhepunkt für mich, so ein Kindheitstraum, war das Human Performance Enhancement Project für die Eurofighter-Besatzungen. Dieses Projekt ist so gut angekommen, dass die Bundeswehr das auch ausgerollt hat für das Kommando Spezialkräfte und weitere Spezialkräfte, d. h. die Ideen leben tatsächlich noch weiter, selbst nach meinem Weggang von der Bundeswehr lebt diese Idee weiter in den Streitkräften und ich bin immer noch Gastdozent an der Führungsakademie in Hamburg, wo die nächste Generation der Topführungskräfte bei der Bundeswehr und von den Nato-Partnern ausgebildet werden.

Christian: Dieses Klientel, von dem du gesprochen hast, das sind ja im Prinzip gesunde Menschen, die sehr hochleistungsfähig sind und von denen erwartet wird zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt eine wohldefinierte Leistung, die sehr groß sein kann, abzurufen. Du hast mir irgendwann mal erzählt, die Fighter-Piloten trainieren 95 Prozent der Zeit und sind fünf Prozent im Einsatz und bei Unternehmern ist es genau andersherum.

Lutz: Das ist immer so eine 80-20-Regel. Wir versuchen unsere Menschen ungefähr 80 Prozent der Zeit in die Vorbereitung zu bringen und an den Schwachstellen gezielt anzusetzen und dort zu trainieren und dann 20 Prozent der Zeit sind Saisonhöhepunkte und Wettkampfszenarien und der normale Unternehmer denkt halt, sobald er die Bürotür aufsperrt „jetzt ist Champions League Finale“. Alleine erstmal das Mindset zu verändern, es geht darum, sich ganz genau zu überlegen „was sind die Kämpfe, die ich ausfechten will, was sind für mich die Höhepunkte, was sind die Sachen, die ich auf jeden Fall gewinnen muss?“, da einfach strategischer heranzugehen und nicht einfach zu sagen „so jetzt ist jeden Tag alles voll mit Höhepunkten“. Das funktioniert einfach nicht. Ich kann nicht jeden Tag auf den Punkt Höchstleistungen bringen.

Christian: Wie schaffe ich das jetzt als remote Leader? Ich bin daheim im Homeoffice, ich mache morgens die Tür auf und dann ist Wettkampf und dann gehe ich irgendwann ins Bett, weil ich müde bin und dann ist der Wettkampf zu Ende.

Lutz: Machen wir erstmal dein Mindset wieder gerade. Zu sagen „ich bin jetzt erstmal im Trainingsmodus“, also Training ist der normale Alltag und Training hat den Zweck, dass ich gesteckte Ziele nach und nach erreiche und ich muss mir einfach überlegen „was sind denn die Ziele, die ich in dieser Woche an diesem Tag erreichen möchte“ und dann auch täglich reflektieren „hat mich dieser Tag ein Stück näher an die Erreichung meiner Ziele herangebracht oder halt nicht?“. Es gibt kein schwarz, kein weiß in der Business Philosophie, sondern es geht darum, sich immer wieder die Karten neu zu legen „hat das jetzt etwas gebracht oder nicht?“. Viele machen den Fehler, sie geben sich zu viele Ziele und To-Dos für den Tag. Wir haben uns auch mal den Spaß gemacht, so einen daily planner zu erarbeiten und wenn du es schaffst als Unternehmer drei selbstbestimmte To-Dos an einem Tag abzuarbeiten, dann hast du echt viel geschafft. Du bist ja nicht nur selbstbestimmt, sondern in der Regel kommen ja noch fremdbestimmte Sachen dazu und der Tag verläuft ja in der Regel nie so, wie er eigentlich mal geplant war. Das ist ja die Ausnahme. Das müssen wir uns als Grundlage des Denkens vorgeben. Gucken, dass ich wenige selbstbestimmte Ziele mir stecke und gucke, dass ich die dann auch erreiche, um mein Selbstwertgefühl daraus zu ziehen. Das Problem ist ja, wenn du immer weniger von den To-Dos erreicht, wenn du die prozentuale Erreichung siehst, was du am Tag auf die Kette gekriegt hast und das sind nicht alle 12 Items, die du dir gesteckt hast, dann leidet ja dein Selbstwertgefühl darunter, weil du dann siehst „jetzt hat sich schon wieder etwas aufsummiert“ und einfach immer wieder in diese Eisenhower-Matrix reingucken „was ist wirklich wichtig und dringend?“.

Michael: Immer wieder reingucken. Drei pro Tag, das finde ich schon mal total schön. Ich entspanne mich gerade, da fühle ich mich direkt besser. Was beobachtest du denn, wie das jetzt remote anders läuft? Wie werden denn jetzt To-Dos verteilt und wie kann ich damit umgehen und einerseits sicherstellen, dass Sachen erledigt werden und andererseits dann auch in meinem realistischen oder erreichbaren Rahmen von drei Stück da drin bleibe?

Lutz: Du hast natürlich remote jetzt ein wahnsinniges Hamsterrad. Wir hatten ja vorher immer Angst als Chefs, dass die Mitarbeiter solange man sie unbeaufsichtigt zu Hause hat, dass sie dann nichts arbeiten. Das hat sich glaube ich überall herumgesprochen, dass es bei den allermeisten einfach nicht so ist. Wir müssen eigentlich diesen Vertrauensvorschuss an unsere Mitarbeiter auch schätzen, dass sie das machen und wir müssen ehrlich gesagt in ganz vielen Fällen sogar bremsen. Wir haben so Surveys, die wir mit Mittelständlern und Start-Ups machen, wo wir regelmäßig so abfragen „was ist der happiness level, wie ist das commitment level, wie ist control level und challenge level?“, aber auch die Gegenpole „wie sind meine gesundheitsschützenden Ressourcen ausgeprägt?“. Eine der Sachen, die ganz schlimm in die falsche Richtung gehen, ist, wie viel bewege ich mich noch am Tag? Im klassischen Homeoffice fällt der commute Weg weg. Die müssen nicht mehr aus dem Haus raus, um irgendwo in den öffentlichen Nahverkehr rein und dann irgendwo ins Büro rein oder vom Parkplatz irgendwo den Weg ins Büro zu finden und das ist das, was wirklich fehlt. Wir wissen aus der Literatur aus Stanford von Prof. Kelly McGonigal, dass wenn wir es nicht schaffen, 5649 Schritte am Tag fortzubewegen…

Michael: 5649 Schritte, so konkret?

Lutz: Genau, das ist ein messbares Kriterium und wenn du es nicht schaffst, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass du in den nächsten Wochen depressiv wirst. Dass deine Stimmungsschwankung in eine falsche Richtung geht.

Michael: Als hätte ich es geahnt. Ich habe mir so eine Rolle gekauft für das Büro, wo man drauf gehen kann.

Lutz: Walkolution, so ein Laufband für den Arbeitsplatz, super Investment. Da muss man auch lernen mit umzugehen, weil ab 3, 3 ½ km/h ist die Aufmerksamkeit nicht mehr am Arbeitsplatz, sondern dann bist du beschäftigt, die Bewegung zu koordinieren.

Michael: Das war eine ganz komische Erfahrung. Ich hatte einen Teilnehmer letztens im Seminar, der stand auf so einem Ding und eierte dann die ganze Zeit im Videobild so hin und her. Ich denke „was macht der da?“ und dann sagte er „ich bin auf meinem Laufband unterwegs“, hält so die Kamera dahin und ich dachte „boah, geil“, habe ich mir direkt auf Amazon auch eins bestellt. Ein paar Tage später habe ich das bei mir auch probiert und habe gemerkt, ich kriege das nicht parallel hin.

Lutz: Geh mal mit der Geschwindigkeit deutlich runter und du kannst es bis zu 3 ½ km/h kriegst du auf die Kette, das nimmt dir keine Aufmerksamkeit und keine Energie, danach wird es einfach schwieriger. Ich mache das z. B. auch, wenn ich längere Telefonate habe, dass ich das auf dem Laufband mache, um meine Schrittzahl zu erhöhen. Wenn du im Büro oder in der Praxis sitzt, kriegt man es oftmals nicht hin. Was sagt denn euer Schrittzähler? Schaut doch mal auf eure Handys drauf, wie viele Schritte habt ihr jetzt um 14.00 Uhr?

Christian: Ich mag ja so diesen Zen-Ansatz in manchen Sachen in meinem Leben. Wenn ich jetzt überlege „wenn ich spazieren gehe, gehe ich spazieren“. Ich meine da passiert ja auch etwas anderes in meinem Kopf, wenn ich draußen im Wald bin, der Blutdruck geht runter und die ganzen Geschichten. Baue ich mir da nicht ein Hamsterrad, was noch mehr hamstert?

Lutz: Also es ist eine Managementstrategie, um ein erkanntes Problem langsam abzubauen. Natürlich wollen wir alle ermutigen, die Mittagspause zu nutzen, um Sonnenlicht zu kriegen, weil jetzt einfach Schritte zählen ist ja nur ein Bruchstück von nachhaltigem Erfolg. Du musst aber raus an die frische Luft, um Sonne abzukriegen, damit du also nicht nur Vitamin D produzierst, sondern auch deinen Licht- und Dunkelheitrhythmus besser synchronisieren kannst. Viele schaffen das einfach überhaupt nicht auf dieses Mindestmaß an Schritte zu kommen.

Michael: Ich habe gerade mal geguckt. 265 hatte ich heute bisher. Habe ich schon mal fünf Prozent von den 5649.

Lutz: Dann mach mal schnell Schluss, damit du in die Bewegung kommst.

Michael: Ich gehe gleich spazieren. Ich verreise halt kaum noch, ich war früher viel unterwegs, mache jetzt alles remote, das sind teilweise acht, neun, Stunden vor Zoom. Ich finde es auch toll, müde werde ich dabei gar nicht. Mittlerweile habe ich das raus. Nur ich merke irgendwie „ich brauche mehr physischen Ausgleich“ und habe mit dem Spazieren angefangen. Jetzt werde ich direkt nachher mal messen, ob die Runde, die ich da bei uns auf dem Feld vor dem Haus immer gehe 5649 m sind oder ob ich evtl. zwei Runden drehen muss.

Lutz: Tatsächlich ist das gar nicht so einfach. Du musst auf etwa 60 Minuten körperliche Aktivität kommen und das ist schlimm, dass viele das nicht schaffen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit verbringen wir mehr Zeit im Sitzen, als wir es im Stehen oder Liegen haben.

Michael: Ich finde das Gespräch gerade ganz klasse, weil es gibt Messgrößen. 5649 Schritte und eine Stunde bewegen.

Lutz: Das ist das Mindestmaß, d. h. erstmal nur nicht depressiv werden. Wenn du wirklich was für deinen Körper tun willst, sind es so 7500 Schritte und dann hast du noch nichts für dein Herz-Kreislaufsystem gemacht, denn damit das dauerhaft funktioniert und auch mit Blutdruckschwankungen umgehen kannst, musst du einmal die Woche 4 x 15 Sekunden in eine Sprintbelastung reinkommen. Das ist das, was der normale Erwachsene nicht mehr macht.

Michael: Einmal pro Woche 4 x 15 Sekunden in eine Sprintbelastung?!

Lutz: Genau, egal was. Treppe hochlaufen so schnell es geht, Hampelmänner machen, Schwimmen, Radfahren, Sprint am Berg, Laufen in der Ebene auf dem Platz, im Wald, völlig egal, einmal nur den Blutdruck und den Puls richtig hochjagen und dann warten, bis er sich langsam wieder beruhigt hat und dann macht man das ganze viermal. Damit wird unser Körper nachhaltig leistungsfähig und es reicht tatsächlich aus.

Michael: Einmal pro Woche 4 x 15 Sekunden, dazwischen zur Ruhe kommen. Müssen die in kurzer Serie kommen?

Lutz: Schon hintereinander, du würdest dich so fünf Minuten langsam aufwärmen und dann machst du das. Nach der Sprintbelastung am Anfang brauchen die meisten so zwei bis drei Minuten, bis sie kurz wieder runterkommen und dann durchziehen und dann bist du eigentlich nach 25 Minuten durch.

Michael: Mega, dankeschön.

Christian: Das ist praktisch das „ich werde nicht depressiv“. Jetzt gibt es ja noch die andere Herausforderung „ich werde nicht dick“. Was kann ich machen, damit ich nicht dick werde oder was kann ich machen, damit ich noch schlanker werde?

Lutz: Level 1 ist ja immer die Frage, wie derzeit mein Verhalten ist. Einfach sich das mal bewusst machen „wie sieht mein derzeitiges Essverhalten aus?“ und schon mal nüchtern reflektieren, da fallen einem in der Regel drei Sachen direkt ein, die man besser machen könnte. Wenn ich wenig Bock habe mich zu verändern, dann ist das einfachste was ich tun kann, tagsüber während der Bürostunden keine Kalorien trinken. Keinerlei Säfte, Limonaden, gesüßten Kaffee, keinen Milchkaffee, keinen Cappuccino, kein Bier…Bier würde ich so nicht stehen lassen, das kann man jederzeit trinken…Aber halt tagsüber keine Kalorien trinken und danach ist es relativ egal, was ich dann mache. Das ist dann auch Lebensqualität und Lustgewinn und dann trinke ich das in kleineren Mengen, was mir einfach die maximale Lebensqualität beschert. Das kann Rotwein sein, das kann auch ein Schluck Cola sein, ein Schluck Bier sein. Wer alkoholische Getränke gerne mag, dann bitte so früh wie möglich. Nicht Frühschoppen, das funktioniert nicht, weil die Leber erst um drei aufsteht, aber die Leber hat ihre Entgiftungsfunktion so ab 15 Uhr, dass die einigermaßen funktioniert und dann könnte man theoretisch da das erste Glas Bier verstecken oder halt den Rotwein. Lieber schon vor dem Abendessen anfangen, damit man nüchtern ins Bett kann. Wenn man die Verkaufsstatistiken anschaut, was hat der Durchschnitts-Deutsche jetzt vermehrt konsumiert, sind es Chips und Alkohol. Damit können wir uns den Schlaf rauben und dann haben wir eine Abwärtsspirale. Zu wenig Bewegung, Alkohol raubt dir den Schlaf, du schläfst schlechter, bist weniger frisch am nächsten Morgen und wenn das Gehirn nicht ausgeruht ist, verlangt es einfachste Lustbefriedigungswege und das sind Kohlenhydrate, Süßigkeiten und Chips. Deshalb muss man den ersten Weg wählen, abends früher aufhören Alkohol zu trinken, dann vernünftig seinen Schlaf auf die Kette kriegen und wenn wir erholt aufstehen, sind diese ganzen cravings in der Regel deutlich abgeschwächter. Dann müssen wir gucken „was sind unsere cravings?“ und da kann man sich beraten lassen, wie man aus dieser Sucht herauskommt. Wenn man das ausprobieren möchte, jetzt haben wir ja noch Zeit im Homeoffice, eine der wichtigsten Selbstexperimente meines Lebens waren drei Wochen auf gesüßte Getränke zu verzichten. Ich habe vorher in der Früh Cappuccino getrunken und wenn man die Ernährungsphysiologie anlegt, ist das schon ziemlich dramatisch, wenn man überlegt, was da passiert. Wenn man Kaffee schwarz trinkt, hat das Ganze 4 kcal. Wenn du ein Stück Zucker reinmachst, hast du 12 kcal, mit zwei Stück Zucker sind es 24 kcal und bei drei Stück Zucker wird man ja schon angeschaut, ob man grenzwertig asozial ist und da hat man 36 kcal konsumiert.

Michael: Jetzt habe ich Angst um meinen Cappuccino.

Lutz: Der Cappuccino ist ja in der Regel 100 ml Milch, das sind schon 70 kcal, das sind 6 Stücke Zucker. Latte Macchiato…du bist dann raus. Und dieses sich vor Augen führen, dass das ein Dessert ist, das ist total lecker und es will dir keiner wegnehmen, aber strategisch platziert kann es dir unglaublich viel bringen. Nach drei Wochen kannst du Kaffee schwarz trinken, was für viele Menschen erstmal völlig unvorstellbar war und auf dem Weg dahin schwarzen Kaffee zu trinken, kann man den Körper betrügen, indem man einfach ein bisschen Zimt oder Kakao drauf macht, um irgendwie den Geschmack noch ein bisschen zu verändern. Aber nach drei Wochen sind die Geschmacksknospen auf der Zunge einmal ausgetauscht. Die Süßwahrnehmung neu kalibriert und es geht einem einfach besser. Das war für mich eine der augenöffnendsten Momente.

Michael: Die Geschmacksknospen, die Zellen, regenerieren sich in drei Wochen? Ist das der Rhythmus?

Lutz: Genau.

Michael: Das ist ja faszinierend. Ich glaube das Gehirn regeneriert sich innerhalb von zwei Monaten komplett neu, oder?

Lutz: Es gibt ja auch ständig neue Verbindungen. So ganz genau ist das am Gehirn nicht verstanden, weil die wenigsten wollen das ja an sich untersuchen lassen. Wir wissen zumindest, dass das Gehirn auch im Erwachsenenalter in der Lage ist, sich zu verändern. Das ist die wichtigste Information.

Michael: Ich glaube der ganze Körper ist sogar nach fast zwei Jahren…

Lutz: Zwischen sechs und zehn Jahren. Die Knochen brauchen ein bisschen länger, bis sie einmal ab- und wieder aufgebaut werden.

Michael: Wenn ich sage „ich möchte gerne ich selber bleiben“, habe ich eigentlich keine Chance.

Lutz: Keine Chance.

Michael: Nach sechs Jahren ist jede Zelle replaced.

Lutz: Du bist jetzt die sechste oder siebte Kopie deiner selbst und du musst dir immer wieder vor Augen halten, das ist wie beim Kopierer, da darfst du nicht beim Toner sparen. Wenn du deine Zellen kopieren willst, solltest du dir klar machen, was du da als Grundbaustein für deine nächste Kopie reinschüttest. Currywurst und Pommes ist nicht der beste Baustein für die nächste Kopie.

Michael: Nicht?! Noch eine Illusion zerstört. Erst der Cappuccino und jetzt die Wurst. Wenn du sagst „tagsüber keine Kalorien trinken“, d. h. dann nicht nur im Büro, sondern auch schon morgens, wenn ich aufstehe, geht das los.

Lutz: Im Idealfall ja. Da schaffst du dir selber ein Fenster, wo du kein Insulin ausschüttest, wo der Körper nicht in diese Mast-Einbahnstraße gerät. Sobald du Kohlenhydrate futterst, kannst du keine Fettversorgung mehr anschalten, d. h. sobald einmal dieser Schalter Insulin umgeschaltet wurde, ist der Körper in der Einbahnstraße. Das Insulin macht einfach Mast. Alles an Energie wird umprogrammiert, die Fettzelle wächst an und der Zucker muss aus dem Körper und in Muskulatur und Leber abgelegt werden und wenn das voll ist, wird es halt einfach Fett. Ein Prinzip, was viele angenommen haben, ist das Prinzip des intermittierenden Fastens, dass du einfach schaust, etwas früher Abendessen, ein längeres Fenster haben, wo ich nichts an Kohlenhydraten nachschiebe und dann in der Früh mit schwarzem Kaffee starten bis der Hunger kommt und für diejenigen, die sich da ein bisschen schwertun, einfach diesen bulletproof coffee. Kaffee nehmen, ein Stück Butter rein, ein bisschen mittelkettige Fettsäuren als Kokosöl rein und schon geht die Birne an, keine Insulinausschüttung und wir sind Vollgas da.

Michael: Butter in den Kaffee oder ein Schlückchen Kokosöl?

Lutz: Am besten beides.

Michael: Wie viel?

Lutz: Du nimmst so 10-15 g Butter. Das macht den Milchkaffee-Geschmack und das Kokosöl führt dazu, dass du für das Gehirn sofort verfügbare Energiequellen hast, weil das Gehirn kann nicht nur Zucker, sondern kann auch diese mittelkettigen Triglyceride verwerten.

Michael: Das heißt intermittierendes Fasten, dann zählt der Kaffee mit dem Fett drin nicht dazu?

Lutz: Den kannst du rausrechnen.

Michael: Machst du das mit dem Fasten?

Lutz: Das ist bei mir montags bis freitags. Das ist wunderbar im Arbeitsalltag umsetzbar und am Wochenende ist einfach die Butterbrezel so verlockend in Bayern. In Rosenheim haben wir einen leckeren Bäcker, wo wir die besten Brezelstangen der Welt kriegen und dann frische Weidebutter drauf und schon ist der Tag dein Freund.

Michael: Also cheat weekend und intermiting fasting week?

Lutz: Genau. Damit komme ich total gut zurande, ohne, dass ich irgendwie das Gefühl habe, ich würde etwas verpassen. Ich habe auch immer gute Schokolade am Arbeitsplatz.

Michael: Bei dir heißt das Fasten nur keine Kohlenhydrate tagsüber?

Lutz: Nur in der Früh. Du versuchst das Fenster so auf 12 bis 14 Stunden anwachsen zu lassen. Du isst abends um 19 Uhr dein Abendessen und bei mir ist es gegen 10.00 bis 10.30 Uhr, da kommt der schwarze Kaffee nicht mehr hinterher, sodass mein Körper sagt „gib mir mal was“ und dann esse ich in der Regel so einen griechischen Joghurt mit ein paar Körnern drin und Obst drauf. Schon bin ich wieder glücklich.

Christian: Jetzt haben wir noch einen großen Aspekt, den ich von dir gelernt habe, der eine große Rolle spielt. Die Erholung zwischendurch. Ich habe von dir gelernt, dass es die Erholung auf Tagesbasis gibt, auf Wochenbasis, dass ich das Wochenende genieße und auch den Urlaub. Ich merke tatsächlich, dass es sich für mich immer so „durchbreit“. So ein Brei. Montag ist wie Sonntag und Woche für Woche für Woche. Wie ist da dein Blick aktuell? Wie führe ich mich, dass ich genug Erholung kriege und was ist Erholung?

Lutz: Erholung ist ja eigentlich dafür da, dass der Körper sich in Einklang befindet mit seiner inneren Uhr. Es ist ja nicht so, dass du den Körper morgens anschaltest, dann ist er den ganzen Tag im Dauerfeuer-Modus und abends, wenn die Batterie leer ist, machst du ihn aus und legst ihn ins Bett. Die innere Uhr, dieser zirkadiane Rhythmus, ist ja etwas, was in 90 Minuten-Intervallen den ganzen Tag wie eine Sinuskurve durchschwingt. Da gibt es immer Höhen und Tiefen und im Idealfall schaffst du es herauszufinden, wann du deine Höhen und Tiefen hast und planst damit deinen Arbeitstag noch besser. Das nennt sich dann ultradianer Rhythmus, dass du halt nicht nur dieses Licht-/Dunkelheitphänomen hast, was einmal in 24 Stunden stattfindet, sondern innerhalb der 24 Stunden hast du immer kleine Schwingungen, die auch hoch und runter gehen. Im Idealfall schaffst du es wirklich Mikropausen einzubauen zwischen diesen Hochschwingungen. Was in der Unternehmerphilosophie relativ verbreitet wurde in den letzten zwei Jahren, ist diese Pomodoro-Technik, dass man diesen ultradianen Rhythmus noch feiner zerstückelt und zwar auf 25 Minuten und dann die Aufmerksamkeit mal wieder kurz entflechtet, damit einfach auch die Augen, die ja einen großen Einfluss haben auf unsere Aufmerksamkeit und Konzentration, dass man denen kurz die Möglichkeit gibt, zu entspannen. Da reicht es einfach den Fokus vom Bildschirm in die Ferne schweifen lassen, im Idealfall aus dem Fenster rausschauen können, dass der Brennpunkt sich verschiebt, weil einfach etwas fixieren, was in der Nähe ist, ist Muskelkraft. Die Augen müssen die Linse so verschieben, dass du das fixieren und scharfstellen kannst. Erst wenn du mal wieder loslassen kannst, wenn du den Blick in die Ferne schweifen lassen kannst, ist das eine kurze lohnende Pause für die Muskulatur des Schädels. Pomodoro nutze ich, wenn ich wirklich kreative Probleme lösen möchte. Dann mache ich das mit einer App. Da ist das voreingestellt, ich kriege Soundfiles auf meine Ohren, dass ich in diesen Alphazustand des Gehirns mich langsam reinschwingen kann und nach 25 Minuten gibt er mir ein akustisches Signal „mach mal eine kurze Pause“ und dann geht das gleich wieder von vorne los. Bei normalen Tätigkeiten würde ich das so planen, dass man spätestens alle 90 Minuten eine kurze Pause einplant und einfach nebenbei was trinkt, kurz aufs Klo geht, ein paar Nüsse einschmeißt usw. Gerade das Verknüpfen mit Trinken. Das ist eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt, dass einfach die Menschen ein visuelles Feedback kriegen, wie viel sie denn trinken. Das Feedback für die Aufnahme heißt: Ich stelle mir 1 l Flasche am Anfang auf den Schreibtisch, wo ich die immer sehen kann und die muss während der Bürozeit einfach leergetrunken werden. Gerade in den Zeiten, wie wir es jetzt haben, ist es oftmals so, da vergessen wir das Trinken, weil die Umgebungstemperatur ist so angenehm, dass sie uns nicht animiert zu trinken. Dann diesen Liter während der Bürozeit leerzutrinken, ist ein total guter Plan. Dann hast du die Qualitätssicherung in der Keramikabteilung. Mittags musst du in der Lage sein, einen klaren Urin zu produzieren. Nur wenn du das schaffst, hast du genug getrunken. Dann ist der Körper genug durchwässert.

Michael: Also mittags klarer Urin. Da war gerade eine Sache, die hast du erwähnt, da würde ich gerne kurz was nachfragen wollen. Ich habe vor ein paar Monaten bei mir beobachtet, dadurch, dass ich jetzt sehr viel am Bildschirm bin, sehr viel mit Zoom mache und sehr viel mit großen Gruppen und vielen Teilnehmern, dass ich mich dann doch irgendwann ziemlich groggy und k.o. gefühlt habe, manchmal auch mit Kopfschmerzen und manchmal abends einfach nur ziemlich k.o. und dann hat mir eine Kollegin freundlicherweise einen Tipp gegeben, da würde ich gerne von dir hören, was du davon hältst und woran das vielleicht liegt, wenn das stimmt. Das Entspannen der Augen und nicht mehr auf die Gesichter auf meinem Bildschirm scharf zu fokussieren, sondern im Grunde durch den Bildschirm durchzugucken in die Ferne, also die Menschen auf meinem Bildschirm dann eher mit peripherer Vision zu sehen.

Lutz: Noch besser ist über den Bildschirm drüber schauen.

Michael: Also nicht durchgucken, sondern wirklich weggucken?!

Lutz: Ja.

Michael: Wie oft sollte ich das machen? Ich möchte natürlich auch mit den Leuten eine Connection spüren.

Lutz: Ja, aber ich finde es noch besser, wenn wir das den Führungskräften beibringen, dass man einfach diese strategischen Pausen im Team fördert. Ich bin der Nerd, der Besprechungen alle 90 Minuten konsequent unterbricht und sagt „haltet nochmal euren letzten Gedanken fest und jetzt machen wir hier einen Cut“. Bei digitalen Veranstaltungen mache ich sogar nach 45 Minuten den Cut, auch bei meinen eigenen digitalen Veranstaltungen, da versuche ich nach 45 Minuten content delivery in die Q&A einzusteigen, weil ich merke bei 45 Minuten, wenn ich mich selber beobachte, fange ich dann an, mein Handy rauszuholen und irgendwie nebenbei Sachen zu machen. Das ist ein Automatismus, den meinen die Leute nicht böse. Es nervt mich kolossal. Wehret den Anfängen. Nach 45 Minuten klare Cuts machen und den Leuten die Möglichkeit geben, kurz zu verschnaufen.

Michael: Weil du sagtest gerade „nach 45 Minuten Q&A zu machen“…

Lutz: Das ist für meine… Ich mache in der Regel so 60-75 Minuten Events, die ich jetzt in der Lockdown-Phase veranstalte und dann hast du diesen Bruch vom Handlungsstrang. Die Leute, die noch Fragen stellen wollen, die sind dabei, die wollen sich mit einbringen und die Leute, für die es nicht mehr relevant ist, die können dann anfangen am Handy rumzudaddeln, das ist mir dann egal.

Michael: Verstehe, okay. Der gemeinsame Fokus ist dann ab diesem Augenblick aufgehoben. Wer was anderes machen möchte, darf etwas anderes machen gehen und die anderen können im Q&A gerne noch ein bisschen weiter quatschen.

Lutz: Genau.

Michael: Cool, danke.

Christian: Eine letzte Frage vielleicht noch: Urlaub. Wenn ich mir jetzt eine Woche freinehme, ich fahre nirgends hin, ich bin daheim, alles ist wie sonst nur ich denke „ich mache jetzt Urlaub“. Gibt es irgendeine Strategie aus deiner Sicht, wie kann ich daheim Urlaub machen?

Lutz: Die allerwichtigste Strategie fängt nicht am Tag des Urlaubs an, sondern T minus 72, d. h. du musst 72 Stunden vor deinem gedachten Urlaub gucken, dass du langsam die Belastung im Alltag runterfährst, damit du nicht krank in den Urlaub startest. Die meisten machen den Fehler, sie nehmen Urlaub als absoluten Saisonhöhepunkt und sagen „Urlaub ist dann, wenn der Druck nachlässt“. Wenn ich diese Strategie fahre, ist es sehr häufig, dass die Menschen am zweiten oder dritten Tag des Urlaubs spätestens krank werden, weil das Immunsystem so lange unter Druck war und unterdrückt war, dass dann die banalen Erreger des Alltags uns niederraffen können. Deshalb tatsächlich schon zwei, drei Tage bevor der eigentliche Tag beginnt, die Belastung langsam reduzieren, Schlaf und Regeneration priorisieren. Das heißt ja nicht, dass man einfach die Beine hochlegt bei der Arbeit, sondern Schlaf und Regeneration priorisieren und dazwischen nochmal einen Powernap machen. Dann zusehen, dass ich wirklich „nein sagen“ lerne während dieser Tage, wo ich zu Hause bin und einfach vielleicht, als Unternehmer hast du nie 100 Prozent Urlaub, sondern da ist man ja immer erreichbar und dass man einfach Zeiten vorgibt, an denen man erreichbar ist oder diese Messlatte an alle weitergibt „hört mal, ich rufe abends zwischen 17.30 Uhr und 18.00 Uhr zurück“ und dass keiner erwarten muss, wenn nicht die Hütte brennt oder gerade die Insolvenzverwalter vor der Tür stehen, dann bin ich gerade nicht erreichbar.

Michael: Du, ich habe noch eine Frage, Lutz, wenn ich darf. Aus deinem Verständnis wie das zusammenhängt und funktioniert mit uns Menschen, wie sieht denn die optimale Zukunft aus? Best case. Corona wird irgendwann weniger werden, der remote Anteil wird wahrscheinlich auch irgendwann weniger werden, okay.

Lutz: Der wird nur weniger werden, ich glaube nicht, dass er verschwindet.

Michael: Genau. Was ist das perfekte outcome am Ende? Wenn wir mal zwei, drei, vier, fünf Jahre weiter sind, wie sieht dann die Welt 2025 aus?

Lutz: 2025 leben wir immer noch in einem Hybrid, der zwischen work from home und work from the office stattfindet wird und bis dahin haben wir unsere Managementtools verfeinert und vor allem auch für die Menschen, die das regelmäßig nutzen, haben wir auch eine Infrastruktur für daheim geschaffen. Es geht ja darum, ich brauche einen vernünftigen Stuhl, einen vernünftigen Tisch und ich brauche eine Lichtquelle, die gesundes Arbeiten ermöglicht. Das ist aber machbar. Ich glaube, da geht die Zukunft hin. Ich habe gleich eine nächste Veranstaltung mit einem amerikanischen Büromöbelhersteller genau diese Diskussion „wo geht new work hin in den nächsten zwei Jahren?“.

Michael: Ganz lieben Dank. Ich fand es ein ganz klasse Gespräch. Ich habe sehr viel mitgenommen. Was mir besonders gefallen hat, ich habe viele konkrete Messgrößen mitgenommen, auf die ich jetzt echt achten werde und du hast jetzt schon zu meiner Gesundheit beigetragen und ich danke dir dafür.

Lutz: Jederzeit gerne. Wenn Fragen sind, Christian hat meine Kontaktdaten, einfach mich gerne anquatschen. Wenn es Firmen gibt, die Hilfe annehmen wollen, ich bin gerne bereit um mein Wissen zu teilen und anderen Organisationen zu helfen.

Michael: Klasse purpose. Lieben Dank Lutz.

Christian: Lutz, als Geschenk zum Abschied habe ich noch einen kleinen Zauberstab für dich. Du kannst damit, wenn ich den jetzt schwinge, eine Nachricht schicken an alle Führungskräfte, die da draußen sind, an alle Leader, an alle Unternehmer. Was ist so die eine Botschaft, die du denen mitgeben möchtest?

Lutz: Der allergrößte Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Zukunft heißt „stop doing the stupid things in life“. Perfektion wird nicht immer dadurch erreicht, dass ich etwas zusätzlich tue, sondern dass ich an einem Punkt irgendwann nichts mehr wegnehmen kann. Es geht darum zu identifizieren „was sind die Sachen, die meiner Zielerreichung hinderlich sind?“. Die lasse ich lieber am Anfang mal weg.

Christian: Vielen Dank Lutz.

Lutz: Gern geschehen. Ciao.

Über diesen Podcast

CHIEF OF ANYTHING ist der Podcast und das Buch für mich. Zusammen mit anderen Menschen will ich entspannt UND produktiv sein, und ich bin dafür bereit mutig und mit Herz Führung zu übernehmen - im Business und im Leben.

CHIEF OF ANYTHING gibt es als Podcast, Buch und Seminar bei der CoA Academy - von und mit Christian Kohlhof und Michael Portz.

von und mit Michael Portz, Christian Kohlhof

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