WOFÜR ENTSPANNT PRODUKTIVE-FÜHRUNG DIE WELT VERBESSERT
Christian: Hallo Bulut.
Bulut: Hey.
Michael: Hallo Onkel Christian. Hallo Bulut, freut mich sehr.
Christian: In diesem Fall tatsächlich Schwipponkel Christian und Schwippneffe Bulut. Bulut, schön, dass du heute bei uns im Podcast bist. Ganz kurz für die ZuhörerInnen, wer bist du und was machst du?
Bulut: Bulut Surat, ich mache ganz viel. Ich bin derzeit im Urlaub, aber beruflich bin ich Gewerkschaftssekretär, politischer Sekretär für eine Gewerkschaft, in dem Fall für den Dachverband der Gewerkschaften, der DGB. Ich bin ehrenamtlich noch aktiv, ein bisschen kommunalpolitisch. Das mache ich so, wenn ich nicht gerade zu Hause bin.
Christian: Genau und herzlichen Glückwunsch noch zur Geburt eurer dritten Tochter. Die Rosa, die jetzt sechs Tage alt ist. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst heute mit uns zu sprechen.
Bulut: Gerne.
Christian: Bulut, wir sprechen ja über remote Leadership in unserem Podcast. Wir haben das Thema jetzt von verschiedenen Seiten beleuchtet. Wir haben es beleuchtet von der gesundheitlichen Seite und auch immer viel von der unternehmerischen Seite, von der Seite „wie kriege ich meine Mitarbeiter dazu das zu tun, was ich möchte, dass sie tun“. Ich freue mich jetzt heute auf deine Perspektive, das einfach aus gewerkschaftlicher Sicht zu betrachten. Was passiert denn gerade, wie funktioniert Leadership und wie funktioniert auch Gewerkschaftstätigkeit, wenn alle im Homeoffice sitzen? Vielleicht magst du da gleich mal einsteigen in diesen Kontext.
Bulut: Dann zerpflücke ich mal den ganzen Blumenstrauß. Wie funktioniert Gewerkschaftsarbeit im Homeoffice? Die soziale Perspektive, wie sieht die aus? Da ist das schon ziemlich vielfältig und jeder Arbeitnehmer geht damit ganz anders um. Wir sehen natürlich als GewerkschafterInnen, wo home- oder mobiles Arbeiten an die Grenzen kommt und wo die Beschäftigten nicht mehr Herr der Dinge sind und nicht mehr ganz drauf klarkommen. Gewerkschaftsarbeit funktioniert eigentlich anders. Man kann über die Instrumente sprechen, die persönliche Kommunikation ist halt nicht mehr da und mit der Mitbestimmung, wenn die Gewerkschaften mit Betriebsräten sprechen, dann funktioniert das meist, weil Gewerkschaften haben ja auch gesetzlich die Möglichkeit an Betriebsratssitzungen teilzunehmen, aber der Kontakt zu den Beschäftigten, zu den Mitgliedern erfolgt nicht mehr so einfach im Betrieb. Das macht man dann in anderen Organen außerhalb des Betriebes in diesen ehrenamtlichen Strukturen. Das zum einen.
Christian: Aus unternehmerischer Sicht ist ja klar, wofür wir Leadership machen. Wir wollen Ziele erreichen, wir wollen Unternehmen aufbauen, wir wollen Unternehmen groß kriegen, wir wollen auch die Mitarbeiter im Unternehmen halten, die ich halten will. Wozu brauche ich denn eigentlich eine Gewerkschaft aus unternehmerischer Sicht und was ist der Nutzen einer Gewerkschaft im Moment, wenn ich im Homeoffice sitze?
Bulut: Erstmal kann man natürlich die ideologische Frage stellen „wozu brauche ich eine Gewerkschaft und warum ist das so wichtig, gerade heute in einer Gewerkschaft zu sein?“. Gerade dieses kollektive Gefühl und auch die Bedürfnisse und die Problematiken, die auftauchen, sind ja meistens nicht individuell, sondern das Problem, das man zu Hause im Homeoffice hat, haben ja auch ganz viele andere im Homeoffice. Gerade, wenn man in einem Unternehmen arbeitet, hat man da ganz viele Schnittmengen in den Interessen mit ganz vielen anderen Beschäftigten im Unternehmen. Deswegen ist die Gewerkschaft ein Ort, wo man sich austauschen kann und wo man diese Probleme lösen kann. Da geht es als allererstes darum, da haben Gewerkschaften die Aufgaben der Tarifpolitik, eine gute Sozialpartnerschaft zu führen, aber in allererster Linie auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu erkennen und diese auch politisch zu vertreten. Das erstmal betriebspolitisch, aber wenn wir mal an die jetzige Lage denken, macht das ja auch ganz viel Sinn, wenn wir über Kurzarbeit sprechen, auch auf die politische Ebene zu gehen und zu sagen „was mache ich denn, wenn ich von heute auf morgen zu 100 Prozent gebraucht werde? Wer ermöglicht mir, dass ich weiterhin eine Lohnfortzahlung habe?“. Deshalb macht das gerade heute, gerade wenn man nicht diesen kurzen Dienstweg hat, macht es extrem viel Sinn in einer Gewerkschaft zu sein, damit man auch Nebenschauplätze für sich erkennen kann und gucken kann „bin ich alleine mit meinem Problem oder auch nicht und welche Lösungen gibt es auch in anderen Betrieben, die man im eigenen Unternehmen anwenden kann?“.
Michael: Ich habe mal nachgeschaut, ihr vertretet ja acht Gewerkschaften und die wiederum haben so um die sechs Millionen Mitglieder, also eine ganz Menge Arbeitnehmer in der Welt da draußen. Was sind denn so die Sachen in der remote Situation, in der wir uns alle ja gerade mehr oder weniger befinden oder viele davon, was sind so Sachen, wo eure Mitglieder sagen „das ist jetzt ganz cool an dieser Art zu arbeiten, remote zu sein, Homeoffice usw.“ und was sind Sachen, die zurzeit eher noch nicht so gut klappen? Wie ist da so der Spiegel? Wie hält sich das die Waage?
Bulut: Aus unserer Sicht kann ich viel dazu sagen, wenn es um die mobile Arbeit geht. Wir sind ja sechs Millionen Mitglieder, davon sind vier Millionen erwerbstätig. Wir kriegen ganz viel mit, dass im mobilen Arbeiten die soziale Komponente noch zu kurz kommt. Da geht es gerade um das remote Leadership, dass man einfach nicht erkennen kann, wenn man in einem Team ist mit einer klassischen Führungskraft, die immer sehr persönlich geführt hat, dann ist das auf einmal eine ganz andere Rolle, in der man ist, weil man das Instrument der persönlichen Führung gar nicht mehr so anwenden kann. Damit werden auch Beschäftigte, die Probleme haben oder denen es seelisch, mental nicht so gut geht, weil sie einfach nicht unter Menschen sind, weil sie ihre Probleme zu Hause, die sie eigentlich dann im Büro oder woanders zu Hause lassen können, sagen „ich habe da meinen Ort, da meine Begegnungsstätte“ und da kann ich Arbeit ohne die Probleme zu Hause durchziehen. Das bleibt auf der Strecke. Was wir wissen, ist, dass ganz viele Beschäftigte da das Problem haben, dass sie einfach nicht an ihrer Begegnungsstätte Arbeit das leisten können, was sie wollen und dadurch Probleme auftreten. Führung auf Entfernung ist gerade in Deutschland, wo wir ja nicht in jedem Unternehmen digital so gut aufgestellt sind und auch die Führungsstile nicht so an das digitale Zeitalter angepasst sind, können da ganz schnell Probleme auftauchen.
Michael: Jetzt hoffen wir mal, dass die Coronasituation sich hoffentlich locker und verbessern wird im Laufe des Jahres. Ich glaube viele haben gerade so den Eindruck, dass die remote Sache und der Anteil an Homeoffice wahrscheinlich nie ganz wieder weggehen wird, sondern eher ein Teil dann da bleibt. Was gibt es denn, was in Zukunft Unternehmer und Chefs und Führungskräfte richtig machen dürfen, damit das für alle eine positive Erfahrung ist?
Bulut: Es bedarf erstmal ganz klaren Regelungen, wie mobiles Arbeiten gestaltet sein muss und wann auch mobiles Arbeiten zu Hause endet. Wenn man sich mal anguckt, dass die ArbeitnehmerInnen eigentlich sehr positiv davon begeistert sind von zu Hause ihren Job zu machen, sofern die Kinder im Kindergarten sind, die Kinder in Schulen sind, glaube ich, dass in den Unternehmen, in denen ganz viele Betriebsvereinbarungen entstehen werden, da wo Betriebsräte sind, da werden die Rechte auf mobiles Arbeiten auch durchgesetzt werden. Ich glaube auch, dass sich die traditionellen Unternehmen nicht mehr so davor versperren können, weil es einfach jetzt in diesem Jahr so gut geklappt hat insgesamt, dass man das fortführen muss. Ein Punkt, den ich auch sehe, durch Heimarbeit oder mobiles Arbeiten, das ist ja noch einfacher geworden für internationale Unternehmen auch Fachkräfte in Deutschland abzuwerben, weil die auch von zu Hause aus arbeiten. Da muss die deutsche Wirtschaft eigentlich nachziehen.
Christian: Was sind das denn für Regelungen, die ich aus deiner Sicht treffen muss in meinem Unternehmen? Klar, Arbeitszeitregelungen, dann auch sicherzustellen, dass ich nicht von morgens 07.00 Uhr bis abends 22.00 Uhr arbeite. Was gibt es noch für Regelungen, die aus deiner Sicht dann wichtig sind?
Bulut: Gerade wenn es um Homeoffice geht, dann eine Büroeinrichtung. Ich sitze ja auch gerade gekrümmt am Laptop. Der Beschäftigte muss auch zu Hause die Möglichkeit haben, einen ergonomischen Arbeitsplatz zu haben mit höhenverstellbarem Schreibtisch. All das muss gesettet sein und es hat auch nicht jeder ein Büro zu Hause, auch da muss man Regelungen finden, dass das qualitativ auch funktioniert. Dann muss man natürlich auch ehrlich sein. Beide Seiten müssen da einen Konsens finden. Wenn man eine kleine Wohnung hat und mit Kindern zu Hause, Homeoffice muss auch möglich sein aus Sicht des Arbeitgebers, ganz klar. Die Sache der Arbeitsausstattung, dann natürlich die Arbeitszeit an sich und auch ganz wichtig sind bei solchen Vereinbarungen auch die Bedürfnisse der Beschäftigten, wann und wie oft wollen sie das machen und wie vereinbart man das z. B. generell mit Meetings, die man hat, die wöchentlich stattfinden, sodass die Beschäftigten, wenn sie im Homeoffice sind, irgendwie nicht ausgeschlossen werden, wenn sie montags z. B. im Homeoffice sind und dann ein wichtiges Meeting stattfindet und das nur persönlich ist, weil Corona wieder vorbei ist und man dann quasi ausgeschlossen ist, was natürlich keiner möchte, aber ich kann mir gut vorstellen, dass diese hybride Variante, wenn wieder alle da sind, schwieriger ist, gesetzlich durchzuführen, weil nicht jeder hat in einem Raum ein Konferenztool stehen. Das sind ja auch nicht die günstigsten. Das muss passen.
Christian: Es gibt ja so ein paar Politiker, die zwischendurch so aktionsweise sagen „Recht auf 30 Prozent Homeoffice“ oder sowas. Wie ist denn da die Gewerkschaftshaltung? Gibt es ein Recht auf Homeoffice? Gibt es eine Pflicht zum Homeoffice? Wer entscheidet das denn letztlich?
Bulut: Es ist eigentlich eine Aufgabe der Sozialpartner, die das mit der Tarifautonomie entscheiden müssen. Es ist immer wieder mit dem politischen Vorstoß, das Recht auf Homeoffice zu gewährleisten, das passiert natürlich, weil nicht jedes Unternehmen einen Betriebsrat hat, mittlerweile sind es ungefähr 60 Prozent der Unternehmen, die einen Betriebsrat haben. Die Quote muss deutlich besser werden, dann können das auch die Tarif-/Sozialpartner entscheiden und auch pro Unternehmen auch verhandeln. Deswegen entsteht meistens die politische Diskussion über ein generelles Recht auf Homeoffice. Wir unterstützen dieses Recht, was man juristisch durchsetzen könnte, ist gar nicht mal so schlecht. Jedoch muss man auch, wenn man es realistisch in der Praxis umsetzen möchte, einen Konsens finden. Wenn man wöchentlich sein Homeoffice einklagen möchte vor dem Arbeitsgericht, ist auch nicht gut für die Stimmung und von daher sollte das schon im Einklang sein. Generelles Recht finde ich persönlich auch nicht schlecht, weil es kann ja auch ein Türöffner sein. Man hat das jetzt schon gesehen, viele Unternehmen, die sich vorher so versperrt haben, die sich nicht so sicher waren, die sind ja auch eines besseren belehrt worden und ich glaube, dass das so als Türöffner wirken kann. So ein Gesetz ist ja auch immer verbunden mit vielen Zustimmungen, die gegeben sein müssen. Es muss machbar sein in den Berufen, es muss schon einiges erfüllt sein. Von daher ist es jetzt nicht so ein Recht irgendwie, dass jeder der Industriemechaniker ins Homeoffice geht, sondern bei denen ist das beruflich nicht möglich, der repariert Maschinen. Aber für Menschen, die im Büro arbeiten, die irgendwie täglich 1 ½ Stunden pendeln zur Arbeit, wenn die ein Recht auf Homeoffice bekommen, fände ich das schon gut und richtig.
Michael: Ich habe da mal einen Gedanken, den ich gerne teilen würde. Da schließt sich eine Frage an. Mir ist gerade beim Zuhören durch den Kopf gegangen, die Zukunft. Wir haben mit einigen Unternehmern hier gesprochen über das Thema remote Leadership und bei manchen kam eine positive Begeisterung dafür, dass der recruitment pool, wo sie Leute einstellen können, jetzt viel größer ist und das früher vielleicht so das Einzugsgebiet die Stadt war, in der die Firma ist. Das ist dann schon irgendwie gewachsen mit Mobilität und remote und Heimarbeit kam ein bisschen dazu und jetzt tut sich für manche Unternehmer auf einmal so eine Perspektive auf „wow, ich kann die Leute eigentlich überall auf dem Planeten einstellen und die arbeiten dann remote“. Wenn das zunehmen wird, was heißt das für die Zukunft von Arbeit, für die Zukunft von Arbeitsrecht und auch für die Zukunft des Konzepts der Gewerkschaft?
Bulut: Das ist natürlich eine ganz große Frage. Erstmal den Begriff des Arbeitnehmers zu definieren, wenn ich in Deutschland die meiste Zeit arbeite, muss ich auch nach deutschem Arbeitsrecht behandelt werden. Das ist ganz wichtig, gerade wenn man internationale Arbeitgeber hat, wo es dann problematisch sein kann, weil die Kultur auch eine ganz andere ist und die Zeit dann auch eine ganz andere. Ich kenne auch Leute, die auf der anderen Seite des Planeten beschäftigt sind, aber von Deutschland aus arbeiten. Die haben einen ganz anderen Alltag mit der Zeitverschiebung und die Arbeit teilweise völlig verzögert. Das ist sehr spannend. Worin das natürlich nicht enden darf, ist so eine Scheinselbstständigkeit. Das ist die Gefahr, die ich da sehe, dass man da nur Rechnungen schreibt an Firmen, die woanders sitzen und man dann scheinselbstständig ist. Das darf nicht sein. Der Arbeitnehmerbegriff muss weiterhin klar definiert sein und muss auch arbeitsrechtlich abgesichert sein, wer in Deutschland arbeitet nach den deutschen Arbeitsrechtsnormen. Was für die Gewerkschaften und auch den Zugang zu den Arbeitnehmern angeht, ist, dass man neue Instrumente braucht, aber nichts destotrotz weiterhin dieses Persönliche da sein muss. Jetzt natürlich nicht so häufig, wies im normalen Alltag war, aber es muss schon die Möglichkeit geben, an Betriebsversammlungen teilzunehmen, nicht nur virtuell, sondern auch vor Ort, um einfach auch den Austausch der Belegschaft weiter zu gewährleisten. Es ist aber natürlich durch Tools, die man hat, wie z. B. Zoom, dass man dadurch auch eine Betriebsversammlung durchführen könnte. Es muss natürlich auch möglich gemacht werden gesetzlich. Dafür braucht es eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, um solche Dinge umsetzbar zu machen. Das ist eine Frage, damit setzt sich auch die Gewerkschaftswelt auseinander und auch sehr kritisch auseinander und auch sehr offen auseinander, aber es gibt manche Themen, wo wir sagen „das geht so nicht“, das hat dann meistens was damit zu tun, dass wir da von ArbeitnehmerInnen-Seite aus viel schlechtere Vereinbarungen sehen und dann eine 40-Stunden-Woche voll überschritten wird, weil es gar nicht mehr definiert ist. Das darf nicht passieren.
Michael: Es fängt bei mir gerade im Kopf, wenn ich mal als Unternehmer denke für einen Augenblick, dann habe ich die bisherige Standardsituation, ich stelle jemanden ein und der- oder diejenige ist hier in Deutschland, fällt unter deutsches Recht, da kann dann ein Teil Heimarbeit, remote Arbeit dabei sein oder nicht und da gibt es schon Regelungen, wie ich das machen kann. Das bewegt sich wahrscheinlich gerade auch voran. Dann gibt es den Fall, ich könnte ja auf die Idee kommen, jemanden aus Neuseeland einzustellen am anderen Ende des Planeten. Das hieße dann womöglich, dass die Person, die in Neuseeland lebt, in Deutschland nach deutschem Arbeitsrecht ein Einstellungsverhältnis hat, in einem ganz anderen Kultur- und Rechtskreis selber lebt und auf einmal in einem Rechtssystem drin ist hier in Deutschland. Dann kommt noch die dritte Komponente hinzu, das ist dann so der nächste Ausblick, nachdem ich dich fragen möchte, wie du das siehst und das ist das Thema Fiverr, Upwork, so worksharing-Systeme, wo ich so Kleinaufträge vergeben kann, Thema Scheinselbstständigkeit hast du ja eben schon erwähnt, wie passt das dann ins Bild in Zukunft? Als Unternehmer denke ich ja „toll, ich gebe ein paar Stunden raus über Fiverr, stelle jemanden in Neuseeland ein und da ist eh alles ganz anders und ein Teil der Leute habe ich dann noch hier“.
Bulut: Natürlich ist das nicht einfach. Sofern ein Unternehmer gewisse Standards hat und sagt „ich source die Arbeit aus und nutze gewisse Plattformen, wo man die Arbeit vermitteln kann“ und sagt eben „natürlich zahle ich 25 Dollar pro Stunde“, und man gute Arbeitsbedingungen anbietet, sehe ich da eigentlich kein Problem drin. Wo ich das Problem natürlich sehe, ist, dass es viele auch ausnutzen werden, um günstig an Arbeitskräfte und Facharbeiter zu kommen und die dann, ich mag den Begriff nicht zu nutzen, aber irgendwo eine Art Ausbeutung stattfindet. Das darf nicht passieren. Das muss verhindert werden. Es ist natürlich auch eine gewisse Ethik, die da eine Rolle spielt, um diesen Problematiken zu entgehen. Ich weiß, dass große Konzerne auf der Konzernebene Beschlüsse und Betriebsvereinbarungen verfasst haben, wo sie keinen Menschen unter einem gewissen Menschenrechtsstandard überhaupt einen Arbeitsvertrag anbieten. Da geht es um die Textilindustrie, ich weiß, dass ein großer Konzern aus dem Ruhrgebiet auch gewisse Standards hat und dann halt nicht in so eine prekäre Lage geht und die ArbeitnehmerInnen woanders auf der Welt irgendwie ausbeutet oder so. Da muss es ganz klare Regelungen geben und ich denke auch, wenn man jetzt von Deutschland aus denkt, dass deutsche Unternehmen das im Blick haben sollten, die Arbeitsrechte.
Michael: Ich kriege gerade so das Gefühl, dass der Arbeitsmarkt sich globalisiert.
Bulut: Das tut er ja auch schon vor Corona muss man sagen. Jetzt hat es sich vielleicht ein bisschen beschleunigt. Diesen Trend nehmen wir auch mit. Gerade in so einem Industrieland wie Deutschland, wo viel heimische Produktion auch ist von Gütern über die Wertschöpfungsketten und alles in einem Land produziert wird, gibt es aber auch ganz viel, wo hier produziert und gearbeitet wird und da ist es sehr wichtig, dass man die Arbeitsplätze auch hier in Deutschland hält. Wir haben auch schlechte Beispiele gehabt, wo Nokia ins Ausland gegangen ist und es dann nicht geschafft hat, die Produktion dort weiterzuführen. Arbeit globalisiert wird weltweit immer vernetzter, aber ich glaube, dass das auch in Deutschland stattfinden kann. Man denkt ja auch immer, wenn man an internationale Arbeit denkt, an Asien oder so, ich glaube, das kann auch in Europa oder in Deutschland stattfinden.
Michael: Das heißt also die Produktionsbetriebe sind diesmal sicher? Remote kann ich halt relativ schwer produzieren.
Bulut: Ich glaube der Dienstleistungssektor wird weiter wachsen und wird weiterhin auch da eine Rolle spielen, gerade durch die vielen Start-Ups, die sich da entwickeln, die ganz viele Vermittlungsangebote auch machen. Das ist ja auch ein Ergebnis der Digitalisierung, das wir erlebt haben. Aber ich glaube man darf nicht alles in eine Dienstleistung setzen, man muss auch eine ausgewogene Mischung haben in der Wirtschaft, wie man schöpft und wie man wirtschaftet. Das ist schon sehr wichtig.
Michael: Wenn ich jetzt einen Wissensarbeitsplatz habe, also knowledge worker, also eben nicht Produktion, sondern mit dem Kopf arbeite, was ich remote sehr gut machen kann, dann heißt das ja für mich, wenn ich im Standort Deutschland bin „jetzt gibt es neue Konkurrenz aus der ganzen Welt, weil man Arbeitgeber kann auf einmal Leute einstellen, die sitzen am anderen Ende des Planeten“. Brauchen wir da Regularien für oder gibt es dann irgendwann einen Wissens-working-Protektionismus oder was kann da passieren?
Bulut: Das ist eine gute Frage, die kann ich gar nicht so beantworten, wie man das regeln kann überhaupt. Deutschland kann ja versuchen alles zu regeln, wenn es international nicht von Relevanz ist, wird es auch nichts bringen. Ist halt ein schwieriges Thema, gar keine Frage. Ich glaube aber, wenn man in Europa viel in Bildung setzt, viel in Universitäten setzt, dann kann man Leute auch hier halten, obwohl sie remote woanders arbeiten können. Aber ich glaube, wenn die Infrastruktur auch für Wissen und Bildung da ist, dann kann man das auch hier halten. Man hat es ja jetzt auch mit der Impfstoffentwicklung gesehen, wir sind so ein guter Forschungsstandort, da fährt man gut damit, wenn man das weiter fördert und ausbaut und da nicht hinterherhinkt. Ich glaube das hat es nochmal gezeigt, dass wir das gar nicht mal so schlecht gemacht haben. Als Gewerkschafter kann ich immer alles kritisieren, mache ich auch gerne in manchen Feldern und Punkten, aber ich finde das sind Dinge, die gut gelaufen sind in Deutschland und ich bin froh, dass wir viel kritisieren können. In anderen Ländern kann man das gar nicht, da sind die Coronazahlen irgendwie auf null seit Monaten, kann man ja auch nicht so glauben, von daher ist es gar nicht mal so schlecht.
Christian: Bulut, vielleicht noch eine Frage zum Abschluss, ich komme nochmal auf dieses Thema, was du vorhin gesagt hast, die Menschen, die daheim sitzen und gern auch einfach mal rauskommen. Ich hatte irgendwann so im letzten April mal so den Eindruck „zu Hause ist nicht für jeden ein schöner Ort“. Du hast gesagt, die Gewerkschaften können da helfen, das aufzufangen, soziale Interaktion zu bieten. Wie funktioniert denn tatsächlich dieser Teil der Gewerkschaftsarbeit? Wie macht ihr das?
Bulut: Ja das ist sehr unterschiedlich. Natürlich rufen auch viele Mitglieder uns an. Wenn man aktiv in die Betriebspolitik geht, gibt es ganz viele verschiedene Ideen, dass man z. B. aktive Mittagspausen macht, dass man da zum Austausch kommt. Natürlich immer unter den Coronaschutzverordnungs-Bedingungen. Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe auch schon Unternehmen gesehen, die diese Großflächenplakate angemietet haben, um ein Signal zu senden „wir sind da“. Gerade, wenn es um Produktionsunternehmen geht. Das ist sehr vielfältig. Wir haben in der ersten und zweiten Lockdownphase viele Werbesäulen angemietet, um zu zeigen „wir sind noch da, wir gestalten viel“. Das ist jetzt eher im Hintergrund, weil wir das nicht so kundgeben können wie sonst immer, Betriebsversammlungen nicht so stattfinden und der Zugang auch erschwert ist. Es ist schon ein großer Unterschied, wenn man als Gewerkschaftssekretär in einen Betrieb reingeht und da vor Ort mit den Leuten spricht, sei es über Zoom oder über Post-/E-Mail-Versand, das ist schon ein riesen Unterschied. Man nutzt aber auch so Tools wie Clubhouse, ich habe auch schon Gewerkschaftstalks über Clubhouse gesehen. Aber um das Mitglied an sich zu erreichen, um die Beschäftigten im Betrieb zu erreichen, gerade in Industriebetrieben, wo ich heim bin, wo ich her bin, meine Ausbildung mal gemacht habe und in der Mitbestimmung mitgewirkt habe, kann eigentlich nichts so richtig das persönliche Gespräch ersetzen. Das merkt ihr wahrscheinlich auch, wenn ihr Hintergrundgespräche führt oder wenn ihr auf Meetings seid und dann danach diese 20 Minuten mal eben persönliche Kommunikation oder vorher, das sind ja die wichtigen Dinge eigentlich, womit man auch viel umsetzen kann oder womit man auch viele Probleme mitnehmen kann, zu sagen „okay, das sind die Probleme, die werden offiziell gar nicht so hart angesprochen“, aber im persönlichen Gespräch ist das wichtig. Ich glaube, das ist eigentlich das, wo sich viele nach sehnen, diese persönlichen Messages mal mitzugeben. Das ist auch etwas, was ich derzeit sehe, diese allgemeine politische Kommunikation ist genau das, was fehlt. Dass man nicht in Vieraugengesprächen mal miteinander sprechen kann. Wenn das wiederkommt, sehe ich da viel mehr Interaktionsmöglichkeiten.
Christian: Vielen Dank, Bulut. Zum Abschluss ein kleines Geschenk von uns und zwar ein Zauberstab. Ich schwinge jetzt diesen Zauberstab und mit dem Schwung dieses Zauberstabs kannst du eine Nachricht schicken an alle Führungskräfte, an alle Unternehmer, an alle Chefs und Vorgesetzten und Chefinnen da draußen. Was möchtest du, was die von dir alle mitnehmen?
Bulut: Ich möchte unbedingt, dass man egal für was man sich entscheidet, dass man miteinander geht, die Beschäftigten mitnimmt, die Gewerkschaften mitnimmt, um auch eine große Repräsentanz zu haben dessen, was man tut und auch eine Annahme zu haben der Beschäftigten. Ich würde mir wünschen, dass man weiterhin sozialpartnerschaftlich zusammen am Tisch über die Zukunft der Arbeitswelt entscheidet. Gerade in so wichtigen Zeiten wie heute. Das ist meine Message.
Christian: Vielen Dank, Bulut, dass du bei uns warst.
Michael: Danke dir.
Bulut: Ich danke euch. Ciao.