WOFÜR ENTSPANNT PRODUKTIVE-FÜHRUNG DIE WELT VERBESSERT
Christian: Hallo Michaels. Wir haben natürlich Michael Portz hier und wir haben Michael von Roeder hier heute. Herzlich willkommen.
MvR: Vielen Dank. Ich freue mich.
Michael: Herzlich willkommen Michael. Ist mir besonders eine riesen Freude. Wir zwei kennen uns jetzt über 20 Jahre habe ich festgestellt und wir sind gut miteinander befreundet und haben uns interessanterweise über mehrere Phasen unseres Lebens parallel durch dieselben Instanzen bewegt. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit als Unternehmensberater in derselben Unternehmensberatung. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit im selben Telekommunikationskonzern. Aber immer parallel, haben nie miteinander gearbeitet – das war vielleicht gut so – und wir haben auch eine gemeinsame Phase im Unternehmerischen und im Gründen und mit Startups. Und wir haben wahrscheinlich auch einige Gemeinsamkeiten in unserem Thema remote leadership. Auf jeden Fall im Abschluss zur Begrüßung: Ich freue mich total, dass du dabei bist, dass wir uns hier sehen und da miteinander durchgehen und herzlichen Dank, dass wir diese schöne Gelegenheit hier haben dürfen.
MvR: Ich freue mich auch sehr. Dass wir uns seit mehr als 20 Jahren kennen, bedeutet natürlich, wir kennen uns seit unserer frühesten Kindheit. In der Tat, wir treffen uns immer wieder und ich sehe, dass wir enger und enger zusammenarbeiten, nicht in der gleichen Firma, aber da wir ja beide an offene Ökosysteme und Netzwerke glauben, die firmenübergreifend sind, weil Menschen arbeiten miteinander, nicht Firmen, ist es ja kein Widerspruch.
Christian: Michael, für mich. Wer bist du und was machst du?
MvR: Wie wir gerade schon gehört haben, ein langjähriger Freund von dem anderen Michael. Wir haben also einen längeren gemeinsamen Werdegang, kann man auf LinkedIn nachschauen, damit möchte ich jetzt nicht langweilen. Die letzten beiden Stationen sind die interessanten, ich habe vor einem guten Jahr gewechselt „auf die dunkle Seite der Macht“ zurück in ein Corporate. Habe davor ein IOT-Startup in Berlin geführt, „Sensorberg“, baut platt eine IOT-Plattform um Gebäude zu digitalisieren und da war das Produkt soweit fertig, da war ich also offen für neue Herausforderungen. Mein eigener purpose ist ziemlich stark fokussiert auf das ganze Thema Dekarbonisierung und da hatte sich eine Chance ergeben bei der Elia-Gruppe anzufangen – kennt hier wahrscheinlich kein Mensch – ist ein belgisches börsennotiertes Unternehmen, das in Belgien das Höchstenergieübertragungsnetz betreibt, also den Strom zwischen den Großkraftwerken in die Städte bringt bzw. von der Nordsee zu den Verbrauchern. Elia hat eine deutsche Tochter, die 50Hertz, das ist der ostdeutsche und Hamburger Höchstenergieübertragungsnetzbetreiber. In Deutschland gibt es davon vier. 50Hertz ist eines davon und meine Rolle ist dort im Gruppenvorstand der Chief Digital Officer, was recht ungewöhnlich ist, weil die üblicherweise eher so unter dem CFO hängen, oft auch nicht die IT haben. Meine Rolle beinhaltet sowohl die IT als auch die Digitalisierung. Das mache ich jetzt mit großer Freude seit 1 ½ Jahren. Die Aufgabe ist die digitale Transformation des Unternehmens.
Michael: Du bist ja für mich so in meinem Dunstkreis jemand, der immer bei den innovativen Themen vorne mit drin war, also in der Zeit, in der wir uns kennen. Insofern ist die Perspektive, die mich bei dir so neugierig macht, das Thema remote leadership, von dem weiß ich, dass dich das schon längere Zeit bewegt, umtreibt und du da auch immer vorne mit drin warst. Wie würdest du denn charakterisieren, wie so die Reise für dich da bisher mit war in der Vergangenheit und dann auch, was in den letzten 12 Monaten abgegangen ist?
MvR: Bei mir hat es schon viel früher angefangen, ich habe schon vor vielen Jahren angefangen, remote Teams zu führen. Ich nenne mal ein Beispiel, was das extremste war, ich war ja wie du auch viele Jahre bei der Vodafone-Gruppe, habe da global das Thema user experience verantwortet. Bei Vodafone bedeutet das 36 Länder. Wir hatten ein user experience team in dreien, in Deutschland, Großbritannien und Japan. Da du nicht jede Woche nach Japan fliegen kannst, um da persönlich vorzutanzen oder mit den Leuten zu reden, musst du remote führen. Hier kommt erschwerend eine völlig andere Kultur hinzu. Jetzt den Bogen schlagen auf die letzten 12 Monate: Ja Herausforderung, aber es sind alles Europäer, das war für mich erheblich leichter, als mit einer fremden Kultur diese Brücke zu schlagen. Auf der anderen Seite, was jetzt leichter ist, dass es alle müssen. Da war es noch so „geht das denn wirklich?“ und ehrlicherweise die Videotechnik – da erinnerst du dich auch noch dran – das war damals vorsichtig etwas holpriger als jetzt. Da haben wir uns ja deutlich weiterentwickelt. All diese Dinge helfen. Die Technik ist weiter, sind die Menschen zwingend weiter – müsste man diskutieren – aber ich glaube der Zwang treibt Veränderungen.
Michael: Menschen, super Thema. Welche Menschen sind schon weiter, welche noch nicht? Was für eine Situation findet sich bei euch denn gerade vor und wie klappt das so für alle Leute?
MvR: Jetzt müssen wir glaube ich unterscheiden in Mitarbeiter, die geführt werden hauptsächlich und den Führungskräften selber. Meiner Erfahrung nach ist es sehr unterschiedlich. Also wenn ich meine peers gucke, die anderen Geschäftsführer, Vorstände bei uns, sehr gemischt. Wir haben welche, für die ist es überhaupt kein Problem. Die hatten in ihren Bereichen aber vorher schon großzügige Homeoffice- oder mobile working Regeln. Andere, die legen eher Wert darauf, dass jeder jeden Tag da ist. Für die war die Umstellung natürlich größer jetzt einfach vom Führungsstil her. Ein anderer Aspekt ist tatsächlich, das habe ich ehrlicherweise unterschätzt, die Beherrschung der Technologie. Also ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist, ein Videokonferenzsystem zu bedienen. Wir haben es selber gemerkt, was ist der häufigste Satz eines remote Managers? „Du bist noch auf mute“. Das illustriert ja ein bisschen: Die Technologie schafft ja eine Distanz, weil du dich zusätzlich damit beschäftigen musst. Wenn du jemandem gegenüber sitzt, beschäftigst du dich automatisch mit seiner body language, mit seiner Mimik, Gestik usw. Wenn du eine Videokonferenz machst, beschäftigst du dich 10% deiner Energie damit „bin ich nicht auf mute? Welchen Knopf muss ich drücken? Wo gucke ich eigentlich hin? Gucke ich auf die Kamera oder auf den Bildschirm oder was mache ich eigentlich?“. Damit haben sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter ihre Probleme. Auf der Seite des Menschen ist es ein Thema, für mich war das ehrlicherweise nie besonders schwierig, ich sage immer „remote leadership ist leichter, wenn du führst und nicht micromanagest“. Warum? Als remote leader ist meine Aufgabe eher einen Rahmen zu setzen, ein alignment herzustellen, um dann autonomy zu ermöglichen. Dazu muss ich nicht jeden Tag mit den Leuten zusammensitzen. Jetzt kann man natürlich weitergehen und sagen, da habe ich auch eine Lernkurve durchgemacht in den letzten 12 Monaten, am Anfang habe ich gesagt „ist ja super, ich mache ja gar nicht viel anders, vielleicht öfter mal ein Video als in person“, aber wir haben auch schon früher Standups per Video gemacht, was mal dazugekommen ist, ist vielleicht mal ein whiteboard, wo man gemeinsam dran arbeiten kann. Nutzt man Zoom und Miro gleichzeitig oder macht man das in einem? Diese Themen, die rütteln sich gerade so zurecht von der usability-Seite. Jetzt könnte ich natürlich noch über die IT-Seite reden in einem Unternehmen mit kritischer Infrastruktur, können wir Zoom verwenden für uns? Was ist mit der Ausfallsicherheit? Wir betreiben die Energieversorgung. Wir erzeugen zwar nicht die Energie, aber wir transportieren sie. Wenn wir ausfallen, gibt es keinen Transport mehr. Da kannst du erzeugen so viel du willst, d. h. unsere Systeme müssen eigentlich immer „schwarzfallsicher“ sein, wie wir das nennen. Der Schwarzfall ist, wenn sozusagen das Übertragungsnetz nicht funktioniert, dann muss es neu gestartet werden.
Michael: Wenn es dunkel wird.
MvR: Wenn alles dunkel wird. Jetzt hast du ja remote, kannst du dann noch jemanden anrufen, wenn du keinen Strom hast oder wie geht das dann genau? Mit solchen Themen beschäftigen wir uns natürlich auch. Lassen wir das mal beiseite. Grundsätzlich würde ich sagen, wir sind alle eine Lernkurve durchgegangen. Manche eine steilere, manche eine weniger steile.
Christian: Michael du hast vorhin gesagt „international ist nochmal anders“. Ich glaube die Videos täuschen ja drüber hinweg, dass eine andere Kultur hinter dem Bildschirm sitzt. Die Leute werden normiert auf so ein Kästchen und es sind halt andere Kulturen, andere Präferenzen, eine andere Geschichte dahinter. Könntest du da noch etwas drüber erzählen?
MvR: Ja, das fängt ja an mit solchen Dingen wie „uns Deutschen ist es vielleicht nicht immer recht, dass uns alle ins Wohnzimmer gucken oder ins Esszimmer“. Das ist in anderen Kulturen anders. Die sind da easier. Ein Beispiel. Ein anderes Beispiel, wenn ich jetzt mal an Japan denke, in der europäischen Kultur ist es relativ wichtig, sich in die Augen zu schauen. Das ist in anderen Kulturen nicht ganz so. Ich möchte das nicht alles durch deklinieren, ich warne nur davor und das ist ja, Christian, genau das, was du gesagt hast, nur weil alle in so einem rechteckigen Kästchen sind, dass alle gleich sind. Nein, die sitzen immer noch an verschiedenen Ecken und selbst wenn sie gar nicht so weit auseinander sitzen, haben sie unterschiedliche Hintergründe. Ich glaube die Gefahr von Missverständnissen ist dann nochmal größer, als sie es ohnehin schon ist. Das muss uns einfach bewusst sein. Ich habe dummerweise da jetzt keine Lösung für, aber alleine, dass man sich dessen bewusst ist oder Themen „man kann nicht so leicht übereinander hinweg reden“, das funktioniert einfach nicht. „Melde ich mich oder quatsche ich rein?“. Machen wir mal eine Videokonferenz mit – jetzt bediene ich mal ein Klischee – lauter Südeuropäern, die tendieren eher dazu, reinzureden, was in der Kultur absolut erlaubt ist, als bei Nordeuropäern, die eher abwarten. Das potenziert sich, wenn du das in einem Videosetting machst.
Michael: Da war jetzt schon eine ganze Menge Stereotypen vielleicht schon dabei. Was ich gerade mitgenommen habe aus den paar Minuten jetzt zwischen euch beiden, war dieser Punkt, dass das auf einmal sich alles sehr nahe anfühlt und dass die Unterschiede noch genauso groß sind wie früher. Da wittere ich gleich auch so eine opportunity „cool, irgendwie sind wir ja jetzt doch näher“, vielleicht nicht ganz so nah, wie sich das anfühlen könnte und können da noch mehr voneinander mitnehmen und die Vielfalt uns zunutze machen oder?
MvR: Ich spreche häufiger über Video mit meinen belgischen Teammitgliedern oder auch Kollegen als vorher, wo ich erstmal hinfliegen musste. Ich war zwar jede Woche in Brüssel, aber da machst du formale Meetings und jetzt ist die Hürde, mal eben jemanden anzurufen oder einfach einen Videocall zu machen, die ist viel niedriger. In der Tat führt das zu engeren Verhältnissen. Wir müssen unterscheiden, wenn ich vorher sozusagen in einer Organisation arbeite, die an mehreren Standorten ist, in mehreren Ländern oder gar auf mehreren Kontinenten, dann könnte der Zwang zu remote work das enger zusammenbringen. Allerdings funktioniert das nur dann, wenn du dich vorher schon mal so kennengelernt hast. Ich habe früher schon immer gesagt „Videokonferenzen funktionieren nur, wenn du dich mal persönlich getroffen hast und mal die Hände geschüttelt hast“, was im Moment verboten ist, aber ich glaube ihr versteht die Idee dahinter.
Michael: Da hätte ich direkt eine Frage zu. Ich verstehe jetzt aus dem, wie du es beschreibst in dem Konzern, viele Standorte, viele Länder usw., dass da sowieso eine hohe remote Komponente einige Zeit schon drin war. Ich habe auch gehört, dass da jetzt sich Sachen noch weiter ändern, wo die Akzeptanz noch höher wird und jetzt gerade bei dem Punkt mit „sich persönlich treffen, Hände schütteln, in die Augen gucken“. Was ist eure Herangehensweise, Erfahrung, die du schon teilen kannst, bei dem Thema Leute rekrutieren, Leute einstellen, performance management machen oder auch sich von Leuten trennen über remote? Kannst du da schon was teilen?
MvR: Trennen kann ich nichts teilen, habe ich bisher nicht gehabt persönlich, dass ich das musste. Onboarding ist ja das Thema. Einstellen machen wir rein per Videocalls.
Michael: Was klappt schon? Was hast du gelernt und mitgenommen, was hier nützlich sein kann für alle anderen Zuhörer? Tipps, Erfahrungen, experience shares?
MvR: Wenn ich sozusagen Interviews führe, mache ich eigentlich nichts anders, als wenn ich sie face-to-face führe. Ich versuche das im Video auch relativ informell zu haben. Ich führe Interviews sowieso relativ informell für Konzernverhältnisse würde ich sagen. Ich mache immer so „man sitzt gemeinsam auf der Couch, trinkt einen Kaffee, unterhält sich, wer bist du, was machst du?“, anstatt den CV durchzugehen, weil ich will ja die Person kennenlernen. Ich glaube das geht auch per Video. Mein Rat wäre: Stellt euch vor ihr sitzt gemeinsam auf der Couch und ihr macht ein Videocall mit einem Freund und lernt die Person kennen. Das muss natürlich mehr in Worte gehen, weil die nonverbale Kommunikation ist halt nicht so klar da, aber Video hilft schon, weil die Gesten und Mimik siehst du ja trotzdem. Ich glaube auch, auf der Basis kann man auch – hätte ich früher nicht so gesagt – eine Einstellungsentscheidung treffen. Uns bleibt nichts anderes übrig. Das geht. Dann beim Onboarding…
Michael: Wann hat sich das bei dir gewendet?
MvR: Das hat sich gewendet, als ich die dritte Stelle so besetzt habe, dann habe ich gedacht „das funktioniert doch“. Am Anfang dachte ich „ich will die Person schon sehen, also im gleichen Raum“. Dann haben wir es einfach probiert und das hat gut funktioniert. Wir haben da immer offen mit den jeweiligen Kandidaten drüber geredet und die sagen das dann genauso. Die sagen auch, sie würden ihren zukünftigen Chef gerne vorher mal sehen, aber das geht halt nicht und dann ging es so.
Michael: Bevor du dann zum Onboarding weitergehst, hätte ich eine Frage aus der anderen Perspektive mal eben. Jetzt hört das vielleicht auch gerade jemanden, der sich Gedanken macht „ich habe mich gerade hier irgendwo beworben und habe demnächst so ein Video-Online-Bewerbungsgespräch mit meinem möglichen zukünftigen Chef“. Hast du da irgendwie so Beobachtungen, was denjenigen, die gerade zuhören, helfen kann? Wenn ich auf der anderen Seite sitzen, was darf ich denn da richtig machen?
MvR: Was würden wir denn tun, wenn wir ein Bewerbungsgespräch haben wie „früher“? Da stellen sich so Fragen wie „was ziehe ich an? Gehe ich im Anzug hin? Gehe ich mit Krawatte hin?“. Die gleichen Ratschläge, die ich da geben würde, würde ich auch für das Video geben. Bauchgefühl, wenn du dich bei mir bewirbst und dich mit einem Anzug in der Videokonferenz setzt, hast du irgendwie was falsch gemacht. Also mit Krawatte. Wenn einer Bock hat Anzüge zu tragen, sei so wie du bist. Ich glaube in der heutigen Welt, in dem Unternehmen, in dem ich bin, was relativ konservativ ist, dieser ganze Energiemarkt ist ja eher konservativ, ist es glaube ich heutzutage kein Problem. Mein Rat wäre: Mach es nach deinem Gefühl, so wie du es auch machen würdest, wenn du dich in ein physisches Meeting begeben würdest. Zweiter Punkt: Du machst es ja in deinen eigenen vier Wänden. Da würde ich jetzt vielleicht nicht gerade die Messi-Küche zeigen mit unabgespültem Geschirr. Das würde ich nicht tun. Ich würde jetzt aber auch keine Kulisse aufbauen. Ich würde versuchen eine Umgebung zu zeigen, wenn man nicht ein Tool nimmt, wo man sowieso einen virtuellen Hintergrund einblenden kann. Das tue ich meistens, nicht immer. Das würde ich machen, ist aber jedem selber überlassen. Das wären die Hauptratschläge.
Michael: Passt, cool, danke. Onboarding?
MvR: Onboarding kann ich ehrlicherweise in meiner jetzigen Rolle, weil das ja nicht in meiner Hand liegt, nicht so wahnsinnig viel dazu sagen. Ich weiß aber, dass unsere HR-Kollegen sich da sehr viele Gedanken gemacht haben. Es fängt bei ganz praktischen Dingen an „wie kriege ich den Laptop in die Hand und den Firmenausweis?“. Das weiß ich, die Leute kommen ins Büro bei uns, sagen wir mal sie sind bei 50Hertz, nicht in Brüssel, dann kommen die hier in die Heidestraße am Berliner Hauptbahnhof, in unser Hauptquartier und kriegen dann die Sachen überreicht. Es ist dann schon so eingerichtet, dass sie von zu Hause ins VPN können und sich dann sicher konnektieren können. Diese Infrastruktur war bei uns allerdings von vorneherein da. Wir konnten von einem Tag auf den anderen 3000 Leute per VPN versorgen, das war nicht das Problem. Was ich gehört habe, HR und Kommunikation hat mal ein paar Videos gemacht von Mitarbeitern, die in der Zeit jetzt gekommen sind, einfach mal um es mit den anderen zu teilen, wie es sich so angefühlt hat. Das war sehr interessant. Da haben die meisten gesagt „das hat gut funktioniert, wir würden schon gerne mal unsere Kollegen persönlich kennenlernen“, die haben sich ja noch nie gesehen zum Teil und z. B. ist es in Deutschland auch so, wir haben ein sehr schönes Hauptquartier und die sagen „wir würden schon gerne da mal arbeiten, das ist ja modern eingerichtet“, das fehlt uns ein bisschen. Aber an das Wissen heranzukommen, also die hard factors vom Onboarding, die kannst du relativ leicht abbilden. Das Problem fängt bei den soft factors an, mal Mittagessen gehen, mal abends einen trinken gehen, um Leute kennenzulernen. Das fehlt natürlich völlig.
Michael: Gibt es da schon Taktiken, Strategien, damit auch etwas zu machen?
MvR: Wir machen so virtual lunch, wo jeder sozusagen reinkommen kann, das versuchen wir noch ein bisschen leichtgewichtiger zu machen, weil wenn ich zum virtuellen Lunch lade, dann denken wieder alle darüber nach, was sie vorbereiten müssen, darum geht es gar nicht. Ich weiß, dass meine Teams zum Teil das auch abends machen, so after work Sachen. Meine persönliche Meinung dazu ist, ich finde das gut, würde das gerne öfter machen, aber es fühlt sich immer so nach overhead an, das muss noch ein bisschen fluider werden. Da habe ich aber noch keine gute Idee, so eine Art drop in session. Wer Bock hat, kommt rein und kann wieder gehen. Das Thema ist allerdings, wenn du dich abends triffst mit dem Team, damals zehn Leute, dann ist es ja oft nicht ein Zehnergespräch, was ja bei so einer Zoomkonferenz immer der Fall ist, das ist ja das Hauptproblem, sondern es sind vielleicht drei Dreiergespräche und einer hört zu. Was ich sagen will: Zoom hat dieses tolle Breakout-Feature, Microsoft Teams auch, aber da musst du auf den Knopf drücken. Das funktioniert ja nicht. In einem fluiden Gespräch ergeben sich Gesprächsfäden und man jumpt in und jumpt out. Das fehlt mir so ein bisschen. Das fehlt auch beim Onboarding. Diese soften Faktoren.
Michael: Cool, danke.
Christian: Michael, klasse. Du machst es ja jetzt seit Jahren, Jahrzehnten. Wenn du jetzt mal in die Zukunft denkst. Wo ist die große Chance, die wir jetzt ergreifen können, um einfach leadership und Kultur besser machen zu können in der Zukunft?
MvR: Die große Chance besteht darin, dass du dich für die Themen, wo du dich nicht wirklich treffen musst, dich eben nicht triffst. Jeder hat jetzt verstanden wie Videokonferenzen gehen und ich glaube wir haben das beste Trainingsprogramm zur Digitalisierung hinter uns gebracht, man kann ja auch mal positive Faktoren einer solchen Pandemie nennen. Heißt: Die Reisen und das physische Treffen wird sich beschränken und ich spreche wirklich von verteilten Unternehmen. Wenn alle an einem Ort arbeiten, dann wird man weiterhin ins Büro gehen. Vielleicht nicht mehr jeden Tag. Aber wenn du verteilt bist, wie es bei mir ist und wie es praktisch mein ganzes Berufsleben war, glaube ich, du machst dann weniger physische Treffen aber die intensiver. Also Beispiel: Ich könnte mir vorstellen, dass es öfter mal so 2-Tages-Workshops gibt, wo man abends gemeinsam was macht und dann wirklich gemeinsam arbeitet. Also so Design Thinking-Workshops, die gehen schon einfacher, wenn du die in einem Raum machst. Solche Themen werden verstärkt passieren und andere Themen, wie so ein Lenkungskreis, da muss ich mich nicht treffen. Es passiert am Ende z. B. genau das Gleiche, was im Retail passiert. Was passiert im Retail? Ich habe eine Polarisierung. Ich werde auch hier eine Polarisierung der Meetingarten haben. Im Retail habe ich entweder online, am einen Ende oder ich habe experience shops wie einen Applestore, wo jeder eine hochwertige brand sampling experience hat, wie es so schön auf Deutsch heißt. Das Mittendrin wird weggehen. Das Gleiche passiert jetzt in der Meetingkultur. Diese „mittendrin-Meetings“, wo ich irgendwo hinfliege und sitze nur da mit 20 Leuten und trinke ein bisschen Kaffee und fliege dann wieder nach Hause, die werden wegfallen und es gibt nur remote. Oder es gibt Treffen mit einer intensiven experience. Workshop, offside, solche Dinge. Das wird glaube ich passieren. Das ist auch die Chance, weil dann sparen wir ein bisschen CO2 und haben trotzdem ein besseres Ergebnis. Und wir sparen Geld. Das noch als letzten Gedanken. Unser CFO – ich kann die Zahlen nicht nennen wahrscheinlich, oder darf es nicht – aber wir sparen einiges an Geld, weil wir weniger reisen. Sehr, sehr viel Geld. Unser CFO meinte „können wir nicht 50% von dem gesparten Geld nehmen und das investieren in Tools und Infrastruktur, um das remote Arbeiten zu verbessern?". Super Sache. Um solche Themen machen wir uns Gedanken. Das ist die Chance.
Christian: Das hört sich für mich so an, als ob wir eine Trennung haben zwischen emotionalen und fachlichen Meetings. Also wenn es darum geht Beziehungen aufzubauen und die Beziehungen in der Arbeit wirken zu lassen, dann treffen wir uns persönlich. Und wenn es eher um fachliche Sachen geht, nicht mehr so oder?
MvR: Es kann auch bei persönlichen Treffen um fachliche Dinge gehen. Ich habe genannt Design Thinking Workshops, da kann ich auch ein fachliches Problem lösen. Allerdings: Wenn es um sehr strukturierte Themen geht, du arbeitest eine Agenda in einem Lenkungskreis ab, dann muss ich mich nicht treffen. Wenn es um Themen geht, die man gemeinsam in Echtzeit erarbeiten muss, wo wirklich jeder mitarbeitet, also Arbeitsmeetings im eigentlichen Sinne, wo natürlich die persönlichen Beziehungen eine größere Rolle spielen, weil du ja als ad-hoc-Team dich zusammenraufen musst und wir wissen ja alle es gibt in solchen Workshops immer eine gewisse Teamdynamik. Die kannst du natürlich leichter etablieren und intensiver und besser, wenn du dich triffst. Ich glaube das ist die Unterscheidung hier.
Christian: Vielen Dank.
Michael: Ganz, ganz, ganz herzlichen Dank Michael für die Runde und dass du dir Zeit genommen hast für das coole Thema remote leadership. Ich hätte ein kleines Geschenk für dich, was ich dir gerne jetzt schon mal geben möchte. Und zwar ist das ein Zauberstab. Das ist der remote leadership Zauberstab, den verteilen wir hier schon mal gerne an besonders liebe Gäste. Du kannst den Zauberstab jetzt einsetzen, um dir etwas zu wünschen, was für dich, für dein Team, deine Firma, deine Organisation das herbeiführen wird dieses Jahr und darüber hinaus im Thema remote leadership, was dann mega gut funktionieren wird. Wofür würdest du den denn einsetzen wollen?
MvR: Ich kann ihn nur einmal einsetzen, nehme ich an? Spontan wünsche ich mir, was ja dieses Jahr passieren wird voraussichtlich, wenn die Pandemie überstanden ist, dass wir nicht in alte Muster zurückfallen. Ich würde ihn gerne einsetzen, dass auch diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die eher auf der konservativen Seite sind, jetzt nicht von ihren Mitarbeitern erwarten, dass sie jeden Tag 9-17 Uhr im Büro sind. Das wäre garantiert der erste Wunsch. Das Zweite trägt ein bisschen dazu bei. Ich wünsche mir, dass dieses remote leadership Thema den Leuten, den Menschen mehr Autonomie gibt. Ich bin ja ein großer Verfechter von leadership über Autonomie, also alignment erzeugen als leader, um den Menschen Autonomie zu geben. Ich glaube, wenn du remote arbeitest, ist dieser Autonomiefaktor zwangsläufig höher und das sollten wir beibehalten. Das Dritte hebe ich mir auf für das nächste Mal.
Michael: Vielleicht hat der Christian ja noch eine Idee, was du dir wünschen könntest?!
Christian: Ja klar habe ich noch eine Idee. Du hast schön die Zukunft gemalt, wir können alle wieder rausgehen und wir geben dir die Möglichkeit auf jede Litfaßsäule in der Welt eine Nachricht für Führungskräfte, für leader, für Chefs zu schreiben. Was würdest du schreiben?
MvR: Be authentic.
Michael: Wie mache ich denn das remote?
MvR: Ich glaube da ist kein großer Unterschied. Das merkt man jetzt in unserem Gespräch, natürlich kannst du nicht über andere hinwegquatschen, das machst du einfach nicht, das funktioniert nicht und für mich ist das weniger authentisch, ich bin da sonst dynamischer. Das wisst ihr beide.
Michael: Noch dynamischer?!
Christian: Das haben wir im Vorgespräch erlebt.
MvR: Genau. Aber unabhängig davon, kann man schon man selbst sein. Ich glaube das ist für eine Führungskraft extrem wichtig, weil Authentizität erzeugt Glaubwürdigkeit und nur wenn du glaubwürdig bist, kannst du Menschen mitnehmen und nur wenn du Menschen mitnehmen kannst, kannst du sie führen. Sonst managed du sie. Managen kannst du auch ohne das. Aber führen kannst du nicht ohne das. Deswegen ist das glaube ich die wichtigste Eigenschaft.
Michael: Cool, das versuche ich mal für mich zusammenzufassen. Wenn ich das richtig verstanden habe, heißt das, wenn ich authentisch ich selbst sein möchte in dieser remote Welt, dann heißt das, ich muss für mich herausfinden „wie bin ich eigentlich authentisch ich selbst über die neuen Kanäle, die neuen Methoden, die neuen Arbeitsweisen?“, new work ist ja fast schon wieder old work, also jetzt ist wirklich new work, d. h. „wie bin ich dann in dieser Welt authentisch ich selbst?“. Den Kanal anpassen darf ich immer noch oder heißt authentisch sein, ich bin einfach so…?!
MvR: Nein, genau. Zuerst musst du erstmal selber wissen, wie du authentisch bist, wobei eigentlich weiß das jeder Mensch. Nur die meisten haben ja einen Filter vorgeschaltet. Ich merke schon auch, für die Verhältnisse in meinem jetzigen Unternehmen bin ich extrem authentisch und extrem direkt. Für ein Startup environment, also Entrepreneur, ich moderiere das ein bisschen, aber nicht so sehr, weil ich das nicht herzeigen oder preisgeben will, sondern ich möchte ja auch Rücksicht nehmen auf die existierende Unternehmenskultur, du kannst ja nicht alles in Frage stellen. Ich merke, das fängt bei so Banalitäten an, ich duze halt alle. In so einem Unternehmen, wie ich jetzt bin, ist das halt ungewöhnlich. Da muss man aufpassen, kann man das bei jedem tun? Solche Themen muss man schon überlegen, aber das hat weniger etwas mit dem Kanal zu tun, das ist vielleicht der eine Aspekt. Der andere, was den Kanal angeht, ich gebe ein Beispiel: Ich würde normal viel mehr rumlaufen, wenn ich rede. Das ist etwas schwierig mit dem Erfassungsbereich der Videokamera, ich hole mir demnächst so eine 360° Kamera, dann geht es wieder.
Michael: Da hätte ich ja doch noch eine Frage. Inwieweit diese Veränderung mit remote leadership, die sich da tut, was ist dein Ausblick dahin, wie das die Kultur beeinflussen wird im Unternehmen? Mittel- bis langfristig? Bleibt die Kultur dann so wie sie ist oder wird die Kultur sich anfangen zu bewegen?
MvR: Sie bewegt sich. Sie bewegt sich ja jetzt schon deutlich. Das ist ja völlig klar. Selbst in den Verwaltungen wird ja drüber nachgedacht, dass man den Mitarbeitern mal einen Laptop gibt. Das ist ja Wahnsinn. Natürlich bewegt sich die Kultur. Wohin sie sich bewegt, wissen wir alle noch nicht. Meine Hoffnung ist, dass sie natürlich in die Richtung geht, die wir drei schon länger predigen, mehr Autonomie, mehr selbstbestimmtes Arbeiten sowohl zeitlich als auch räumlich. Das wird die Kultur ändern und es wird wahrscheinlich Kräfte geben, die versuchen das zurückzudrehen und ich kann nur sagen, ich werde alles tun was ich kann, dass es in meinem Unternehmen nicht mehr zurückzudrehen ist.
Michael: Ich wünsche dir viel Erfolg dabei. Ganz, ganz, ganz herzlichen Dank.
MvR: Vielen Dank. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Christian: Vielen Dank Michael.